Randerscheinung

Treuer Begleiter auf Rädern

Carolina Frank
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Gestritten ist geworden in seinem Inneren, geschlafen, gelacht, gebröselt, gewartet, geschwiegen, ohne Kübel gespieben und laut mitgesungen zu dem, was da aus den Boxen kam.

Ich stehe also am Stadtrand von Wien in dieser Filiale, die so ganz anders aussieht als die glänzende Oberfläche der dazugehörigen App. Weil ich mich um zehn Minuten verspätet habe, zigmal verfahren, wie es mir oft passiert, wenn ich in Wien meine ausgetretenen Pfade verlasse und in einem der sogenannten Flächenbezirke herumirre, muss ich morgen wiederkommen. Es gibt nur eine halbe Stunde Zeit pro Kunden. Doch nach diesem letzten Aufschub von 24 Stunden ist der Augenblick gekommen.

Ich räume das Handschuhfach unseres Kombis leer, Serviceheft, alte Karten von Oberitalien, verknödelte Taschentücher, ein kaputter Kuli, eingetrocknete Zuckerl. Mehr als 15 Jahre und über 200.000 Kilometer lang hat uns das Auto begleitet, oft vollgestopft bis zum Rand. Gestritten ist geworden in seinem Inneren, geschlafen, gelacht, gebröselt, gewartet, geschwiegen, ohne Kübel gespieben und laut mitgesungen zu dem, was da aus den Boxen kam. Zuletzt sind die vollbesetzten Fahrten aber immer seltener geworden, die Reparaturen häufiger und teurer, seit einem Familienbesuch zu Weihnachten im Westen ist das Auto überhaupt unbewegt am Parkplatz gestanden.

Für den mürrischen Mann von der Autoankaufsplattform steht da aber nur ein heruntergekommener Wagen mit einer bedenklichen Roststelle, vielen unbehobenen Parkschäden, einer Heckklappe, die gern einmal ohne Vorwarnung zuschnappt, und immerhin einem ziemlich neuen Satz Winterreifen. Er fährt eine Runde Probe, schaut noch grimmiger und nennt mir einen Preis. Ich nicke, wo­rauf er im Büro verschwindet, um die Papiere fertig zu machen. Ich schaue, ob ich etwas vergessen habe, finde noch eine Pumuckl-CD und schmeiße dann mit einem Kloß im Hals ein letztes Mal die Tür ins Schloss.

("Die Presse Schaufenster" vom 18.3.2022)

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