Die Ich-Pleite

Die Ukraine war früher weiter weg

Carolina Frank
  • Drucken

Kiew oder Wladiwostok, alles war unendlich weit weg. Die Welt war nämlich damals irgendwie größer. Durch das Internet ist sie stark geschrumpft.

Unlängst ist mir wieder aufgefallen, dass man in Deutschland nicht „Putzfrau“ sagt, sondern „Putzhilfe“. Ich nehme an, Putzfrau hat aus sexistischen Gründen ausgedient. Mit Putzhilfe kann ich mich aber auch nicht recht anfreunden, weil es so klingt, als würde ich selbst putzen, und sie wäre nur die Assistentin. Wahrscheinlich wäre Selberputzen auch die beste Lösung. Aber meine Putzfrau wäre wohl gekränkt, wenn ich sie wegen sprachlicher Skrupel hinausschmeißen würde. Ich kenne sie schon lang.

Sie ist aus Polen. Woher genau, weiß ich erst seit Kurzem. Aus einem Ort an der ukrainischen Grenze. Darum fahren sie und ihre Freunde jetzt hinüber und bringen Sachen für die Flüchtlinge. Ihre Mutter ruft an und sagt, „wir brauchen Windeln und Medikamente“, und sie fahren hinüber und bringen Windeln und Medikamente. „Und unsere Männer nehmen in den Autos die Leute mit herüber.“ Ich kenne sonst niemanden, der „unsere Männer“ sagt, aber in dem Moment klingt es irgendwie beneidenswert.

Ich war auch noch nie in der Ukraine. Aber ich erinnere mich gut an Tschernobyl. Den Nachgeborenen kann ich selbst erlebtes Fürchten brühwarm unter die Nase reiben. Aber damals dachte ich, dieses Tschernobyl ist weit weg. Kiew oder Wladiwostok, alles war unendlich weit weg. Darin lag meine jugendliche Hoffnung. So weit kann doch so eine Strahlung nicht reichen, dachte mein Überlebenswille. Die Welt war nämlich damals irgendwie größer. Durch das Internet ist sie stark geschrumpft. Wie ein zu heiß gewaschener Pullover ist die Welt einge­gangen. Meine Putzhilfe will mein bisschen Spendengeld fast nicht annehmen und sagt schließlich: „Ist es dir recht, wenn wir es als Benzingeld verwenden?“ Ich nicke nur. Man darf niemals vor seiner Putzfrau weinen. 

("Die Presse Schaufenster" vom 18.3.2022)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.