Der ökonomische Blick

Heilige Corona, hilf!

Viele Kulturschaffende durften in der Coronakrise nicht arbeiten und hatten Existenzängste.
Viele Kulturschaffende durften in der Coronakrise nicht arbeiten und hatten Existenzängste. (c) Die Presse/Clemens Fabry (Clemens Fabry)
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Arbeitslosengeld, Künstlergagen, Sozialversicherung: Die Corona-Krise hat soziale Ungleichheit sichtbar gemacht und Armut verschärft. Die sozialwissenschaftlichen Erkenntnisse darüber sind ungebrochen gültig.

 „Es fühlt sich schon ewig an.“*

Der Schock über den ersten Lockdown saß allen noch in den Knochen, als sie im Sommer 2020  an den Gruppendiskussionen für eine sozialwissenschaftliche Studie über den Zusammenhang von Corona-Krise und Armut teilnahmen. Allen: den Menschen mit langer Armutserfahrung, den freischaffenden Künstlern und Künstlerinnen, den EPUs, den durch die Pandemie arbeitslos Gewordenen.

Jede Woche gestaltet die „Nationalökonomische Gesellschaft" (NOeG) in Kooperation mit der "Presse" einen Blog-Beitrag zu einem aktuellen ökonomischen Thema. Die NOeG ist ein gemeinnütziger Verein zur Förderung der Wirtschaftswissenschaften.

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„Kannst Du uns aushelfen? Weil sonst wird es eng in den nächsten 14 Tagen.“

Aber nur zwei Gruppen hatten sogleich mit ernsten ökonomischen Problemen zu kämpfen: Vor der Krise prekär Arbeitende, erstens, hatten nicht die Ressourcen, auch nur kurze Zeit mit ihrem niedrigen Arbeitslosengeld oder ohne Gagen und Honorare zu überstehen. Sie mussten ihren Lebensstandard sofort hinunterschrauben oder im privaten Umfeld um Hilfe bitten. Die gekündigte Reinigungskraft konnte sich die Schokolade für die Enkelkinder nicht mehr leisten, die Orchestermusikerin nicht mehr die Miete. Zuvor geringfügig Beschäftigte, zweitens, verloren bis zu einem Drittel der Einkünfte, das waren damals maximal 460,66 Euro, und das in Haushalten, in denen ohnehin jeder Cent umgedreht werden muss.

Aus dieser Corona-Studie lässt sich für die geplante Reform des Arbeitslosengeldes lernen: Eine Wartefrist auf den ersten Bezug würde vor allem jene hart treffen, die davor prekär beschäftigt waren; und ein Wegfall der Zuverdienstmöglichkeiten würde bei sehr geringem AMS-Bezug den endgültigen Schritt in die Armut nach sich ziehen, und außerdem eine totale Abhängigkeit vom Sozialsystem, wenn nämlich Sozialhilfe bzw. Mindestsicherung die geringfügige Beschäftigung ersetzen müssten.

„Ich persönlich habe jetzt unter dieser Krise überhaupt nicht gelitten.“

Im Frühjahr 2021 gab es zum Vergleich eine Folgestudie. Nur eine Gruppe sagte dabei, finanziell und psychisch unbeschadet durch die Krise gekommen zu sein: „neue“ Arbeitslose, die durch die Pandemie ihre gut, aber nicht notwendigerweise fürstlich bezahlten Jobs verloren hatten. Sie konnten die lange Zeit ohne Arbeit mit ihrem hohen AMS-Bezug überbrücken, ohne Abstriche beim Lebensstil. Wer jedoch vor der Krise einer schlecht bezahlten Arbeit nachgegangen war und keine Ersparnisse hatte, wurde nicht ausreichend aufgefangen und war auch psychisch angeschlagen. Bei längerer Arbeitslosigkeit ginge also das geplante degressive Arbeitslosengeld an durchschnittlich oder gut Verdienenden weitgehend spurlos vorbei, Bezieher und Bezieherinnen niedriger Einkommen träfe es aber sehr wohl.

„Psychisch eh auch nicht so hundertprozentig, habe dann eh schon leichte Tendenzen zur Depression gehabt, und habe es dann eben aus solchen Gründen komplett vermieden hinauszugehen.“

Die psychischen Auswirkungen des ersten Lockdowns trafen Menschen mit langer Armutserfahrung heftiger als alle anderen, zeigte die erste der beiden Corona-Studien. Ihre mehr oder minder unter der Oberfläche gehaltenen psychischen Probleme wurden akut.

Wer ausschließlich auf Zuckerbrot und Peitsche – finanzielle Anreize und degressive Unterstützung – oder äußerliche Verbesserungen (der Qualifikation oder der AMS-Betreuung) setzt, um Langzeitarbeitslose ins Erwerbsleben zu locken oder zwingen, der geht zu sehr von sich selbst aus: der eigenen Stärke, den eigenen guten persönlichen Ressourcen und dem eigenen Streben nach Vorteilsmaximierung.

Tatsächlich sollten in einem ersten Schritt aber die psychischen Probleme behandelt werden, die Armutsbetroffene schon im ersten Lockdown einknicken ließen. Denn wer einen Lockdown nicht unbeschadet übersteht, wird auch den Leistungsdruck im Arbeitsleben auf Dauer schlecht aushalten.

„Wir kennen faire Kleidung, wir kennen faire Bananen, wie kennen Fairtrade-Kaffee, aber faire Kunst oder Kultur, das ist irgendwie nicht wirklich ein Thema, und das ist traurig, oder?“

Dass sie vor der Krise prekär gearbeitet hatten, wurde vielen Freischaffenden im Kulturbereich im ersten Lockdown erst bewusst: eine Kränkung, die in beiden Corona-Studien ständig präsent war. Wer bei der Aufführung einer Barockoper im Orchestergraben sitzt, bekommt gerade einmal die Hälfte von dem auf die Hand, was die teuerste Eintrittskarte kostet. Corona hat ihn erst sichtbar gemacht, aber bestanden hat der Missstand seit Jahr und Tag.

„Das ist mir halt aufgefallen, dass dieses ständige freiberuflich, nicht freiberuflich Sein irgend­wo ein Nachteil ist, (…) wenn es dann darauf ankommt, irgendwie eine Absicherung zu haben.“

Auf Menschen, die zwischen Anstellung und Selbstständigkeit hin und her pendeln, waren die Corona-Hilfen genauso wenig eingestellt, wie das normalerweise die Sozialversicherungen sind, die mit ihrem Denken in den Kategorien entweder „ganz selbstständig“ oder „ganz unselbstständig“ etwa EPUs und Kunstschaffenden das Leben schwer machen. Wäre es nicht an der Zeit, das Sozialrecht der Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts anzupassen?

Die Autorin

Evelyn Dawid arbeitet am Forschungsinstitut Economics of Inequality (INEQ) an der WU Wien. Sie ist promovierte Historikerin und forscht mit qualitativen Methoden zu den Schwerpunkten Armut und soziale Ausgrenzung.

* Alle Zitate stammen von Befragten, die Studien sind abrufbar unter: https://www.sozialministerium.at/Services/News-und-Events/Archiv-2020/Dezember-2020/Armutsbetroffene-und-die-Corona-Krise.html und https://www.armutskonferenz.at/media/armutskonferenz_erhebung_armutsbetroffene_corona-krise_2_2021.pdf

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