Glaubensfrage

Die Kirche, eine Demokratie?

Kirche und Demokratie – ein Widerspruch in sich? Der Eindruck könnte leicht entstehen. Aber: Am Wochenende dürfen die Katholiken sogar ihre Pfarrgemeinderäte wählen.

Die Kirche, eine Demokratie? Kann sie mit dem, was sie unter dem Anspruch der Wahrheit sagen will und muss, glaubhaft bleiben, wenn sie ein Stück weit demokratisch(er) wird? Kann sie andererseits glaubhaft sein, wenn sie stark hierarchisch verfasst, autoritär, gewissermaßen als letzte absolute Monarchie der Welt organisiert ist – mit einem Oberhaupt, das in allem das letzte Wort hat, als ob die Gewaltenteilung nicht erfunden wäre?

Wenn sich, wie erst in der soeben abgelaufenen Woche, die Bischöfe zur Vollversammlung treffen, wird dieses Männer-Meeting kaum mit einem Begriff wie Demokratie in Verbindung gebracht werden. Dabei haben diesmal die Amtsträger – Kardinal Christoph Schönborn war symptomfrei in Covid-Quarantäne per Video zugeschaltet – zur Teilnahme an einer großen Wahl aufgerufen. Groß nicht im Sinne öffentlicher Aufmerksamkeit (die ist gleich null), sondern was die Teilnehmer betrifft.

Diese Wahl findet an diesem Wochenende bundesweit statt. In allen 3000 Pfarren des Landes werden die Pfarrgemeinderäte bestimmt. Ohne dieses Gremium, das den örtlichen Pfarrer unterstützt, trägt und gelegentlich auch de facto ersetzen muss, wäre eine Pfarre heute unvorstellbar, sagen die Bischöfe in ihrer Erklärung nach dem Ende ihrer Tagung. Und wie recht sie haben!

Immerhin 4,3 Millionen Katholikinnen und Katholiken dürfen abstimmen und aus den mehr als ungefähr 40.000 Kandidaten wählen, in der Mehrheit sind es übrigens nach jahrelanger Erfahrung Kandidatinnen. Zuletzt haben 28.000 Gewählte in Pfarrgemeinderäten (wie sagt man? um Gottes Lohn) gearbeitet. Dazu kamen 17.000, die von Gruppen delegiert oder Pfarrer ernannt wurden. Schade, dass in Österreich, anders als in Bayern, wo zeitgleich die Wahl stattfindet, nicht online abgestimmt wird. Aber vielleicht werden die digitalen Segnungen in fünf Jahren auch Österreich erreichen.

Jedenfalls haben die Pfarrgemeinderäte einen Schwung Demokratie in die katholische Kirche gebracht, der sonst vielerorts abgeht. Die Ernennung von Bischöfen beispielsweise erfolgt über oft gewundene, immer aber geheime Wege. Joseph Ratzinger, der spätere Benedikt XVI., hat 1970 noch ungestüm in einem Vortrag, der unter dem Titel „Demokratie in der Kirche, Möglichkeiten und Grenzen“ in Buchform erschienen ist, Bemerkenswertes festgestellt: „Es ist töricht und unkritisch zu meinen, das Heute habe der Kirche nichts zu sagen, und sie könne sich ruhig ins Gewordene verschließen: Auch und gerade das Zeitalter der Demokratie ist ein Anruf an sie, dem sie sich kritisch und offen zugleich zu stellen hat.“

Dieser Anruf des „Zeitalters der Demokratie“ ist verhallt. Er wurde nicht gehört oder geflissentlich überhört. Es wäre dann langsam Zeit dafür.

dietmar.neuwirth@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.03.2022)

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