Leitartikel

Wer ist hier überrascht?

Zwei Wochen lang hat sich Johannes Rauch gegen ein Comeback der Maskenpflicht gewehrt.
Zwei Wochen lang hat sich Johannes Rauch gegen ein Comeback der Maskenpflicht gewehrt.(c) APA/AFP/JOEL SAGET
  • Drucken

Der neue Gesundheitsminister begründet seinen späten Schwenk bei der Maskenpflicht mit alten Argumenten: Man habe nicht wissen können, dass es so schlimm werde. Doch das stimmt so nicht.

Reden wir über das Wetter. Wenn Sie sehen, dass es schüttet und Sie gehen trotzdem ohne Schirm raus, nur weil der Wetterbericht von vor drei Wochen eine sonnige Tendenz vorhergesagt hat – wer ist dann schuld, wenn Sie nass werden? Die Wetterexperten?

Wenn man dem Gesundheitsminister folgt: ja. Zwei Wochen lang hat sich Johannes Rauch gegen ein Comeback der Maskenpflicht gewehrt – er wolle kein „Hin und Her“. Freitagabend dann die Wende. Sie war richtig, aber spät. Sein Zuwarten begründete Rauch mit einem Argument, das bekannt vorkommt. Die „Dynamik des Virus“ sei so nicht abschätzbar gewesen sei. Wirklich? Nun ist es richtig, dass zum Zeitpunkt, als die Öffnungen beschlossen wurden, für März ein Plateau der Infektionskurve erwartet wurde (freilich unter Hinweis auf Unsicherheiten). Aber spätestens seit Rauchs Amtsantritt wurde ein starker Anstieg vorhergesagt, der auch „live“ zu sehen war und von einem schwer überhörbaren Warner-Chor begleitet wurde. Aber offenbar ist es auch im Jahr drei der Pandemie so: Erst wenn ein gewisser Sättigungsgrad der Kritik erreicht ist – also erst wenn genügend Spitalverantwortliche genug verzweifelt die Hände gerungen und ausreichend Experten resignierte Interviews gegeben haben – schwenkt man um. Denn erst dann – so die Annahme – versteht die Bevölkerung, dass es nicht mehr anders geht. Oder um beim Wetter zu bleiben: Erst dann kapiert sie, dass es draußen regnet.

Nicht gerade ein charmantes Bürger-Bild – und insofern darf man umgekehrt auch etwas rüde zusammenfassen, was da in den letzten Wochen gelaufen ist: Die Regierenden (also auch die ÖVP und diverse Länder-Chefs, die sich hinter Rauch ducken) haben mit dem Verweis auf den „milden Verlauf“ auf Durchseuchung gesetzt, auch wenn man das partout so nicht nennen wollte. Drastisch drückte es Gerry Foitik, Rot-Kreuz-Manager und Ex-Gecko-Mitglied aus: Man habe „achselzuckend zur Kenntnis genommen“, dass „wöchentlich rund 200 Menschen an Corona sterben“. (Wobei nicht alle Tote durch Maskenpflicht hätten verhindert werden können). Fakt ist: Die Politik hat Empfehlungen der Experten (die auf Indoor-Masken pochen) ignoriert, hat vermutlich Einfluss auf Formulierungen in Expertenpapieren (Stichwort: Corona-Kommission) genommen und hat sich gleichzeitig – wie der Bildungsminister – mit Experten-Segen geschmückt, den es so nie gab. Dass sich viele der Gremien-Fachleute, die ehrenamtlich ihre Zeit geben, instrumentalisiert fühlen, kann man da verstehen. Ob sich der Umgang mit ihnen bessert?

Rauch hat sich entschuldigt, aber klargemacht, dass sein Kurs (Testreduktion ohne große Strategie, Lockerungen der Quarantäne für Infizierte) nicht unbedingt dem entspricht, was sich Fachleute vorstellen. Nun darf ein Politiker anders entscheiden. Er soll dann aber nicht überrascht tun, wo es nichts zu Staunen gibt. Und er (oder sie) sollte auch im Hinterkopf behalten, dass, was Wissenschaft will und Wirtschaft fordert, nicht immer im Widerspruch steht. Dazu kann man jetzt bei den Nachtgastronomen nachfragen, die wohl lieber länger gewartet hätten, als erst schnell auf- und dann schnell wieder zuzusperren.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.