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"Elden Ring": Diese Weltflucht ist ein Stahlbad

Ein Bärenangriff in "Elden Ring".
Ein Bärenangriff in "Elden Ring".(c) Bandai Namco
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Wer „Elden Ring“ spielt, hat schon verloren: Ohne Willen zum Scheitern ist man im beliebten Fantasy-RPG, das vom „Game of Thrones“–Macher mitgestaltet wurde, chancenlos.

Die Kriegerin ist bereit. Mit stolz erhobenem Haupt und gezücktem Breitschwert steht sie vor dem Raubritter und seiner schändlichen Kumpanei. Siegesbewusst wirft sie sich ihren Gegnern entgegen, holt zum alles entscheidenden Hieb aus – und säbelt ins Leere.

Siehe da: Ihr Kontrahent ist geschickt ausgewichen und schlägt spornstreichs zurück. Zack, prack, Ende Gelände! Tödlich getroffen sinkt unsere Heldin zu Boden.

Wenn dieses tragische Mini-Epos Sie unbefriedigt zurücklässt, sollten Sie von „Elden Ring“ besser die Finger lassen. Denn Scheitern ist immanenter Bestandteil, um nicht zu sagen: Raison d'être des beliebten Fantasy-Rollenspiels, das seit seiner Veröffentlichung im Februar Verkaufsrekorde bricht. Den Schriftzug „You Died“, der darin nach jeder Niederlage auf dem Bildschirm erscheint, verstehen Fans jedoch nicht als Verhöhnung. Im Gegenteil: Er spornt sie zu Höchstleistungen an, frei nach dem berühmten Kalenderspruch von Samuel Beckett: „Try again. Fail again. Fail better.“

Viele von ihnen begeben sich nicht zum ersten Mal auf die Walstatt, haben bereits Hunderte Übungsstunden hinter sich. Zur Erläuterung: „Elden Ring“ ist ein Erzeugnis des japanischen Entwicklers From Software. Seit 2009 hat dieser mit einer Reihe actionlastiger RPGs (kurz für „role-playing games“) Videospielgeschichte geschrieben – und mit seiner „Dark Souls“-Trilogie ein eigenes Gaming-Genre begründet.

Sogenannte Soulslikes zeichnen sich vor allem durch ihren beträchtlichen Schwierigkeitsgrad aus. Wobei diese Beschreibung zu kurz greift: Reizvoll macht sie weniger ihr Schwierigsein als ihre Weigerung, Spielende bei der Hand zu nehmen.

Schluss mit der Gaming-Bevormundung!

Keineswegs selbstverständlich im Zeitalter der Gelegenheitszockerei: Niederschwelligkeit hat sich branchenintern als Erfolgsgarant durchgesetzt. Viele erwarten, in Spielen vor dem ersten Sprung den Aufruf „Spring!“ auf dem Bildschirm zu lesen. Soulslikes erteilen nicht nur dieser wohlmeinenden Bevormundung, sondern auch so gut wie jeder anderen Art von Hilfestellung eine geharnischte Absage. Hier lernt man alles, was man lernen muss, um im Fantasy-Kampf zu bestehen – und das ist in der Regel ziemlich viel – auf die harte Tour.

Damit diese nicht zur Tortur verkommt, braucht es vor allem viel Geduld. Anfänger, die zwischendurch mal ein bisserl Monster zerhäckseln wollen, brauchen bei Soulslikes gar nicht erst anzufangen. Vielmehr tut die Bereitschaft not, als demütiger Sisyphos reihenweise ins digitale Gras zu beißen, sich hernach immer wieder neu aufzurappeln und unbeirrt ins Getümmel zu schmeißen. Ähnlich wie bei beliebten Hops-und-Hüpf-Spielen der Marke „Super Mario“ ist das Memorieren berechenbarer Abläufe dabei eine essenzielle Überlebensstrategie. Nur geht es hier nicht um die Eigenheiten bunter Level-Parcours, sondern um Finten und Volten einer vielseitig begabten Gegnerschaft. Freilich: Man kann sich mit Anleitungen und Trainingsvideos aus dem Internet behelfen, die Soulslike-Community bietet dergleichen zuhauf. Allein, wo bliebe da das Vergnügen?

Wer sich durchbeißt, wird mit Erfolgserlebnissen erster Güte belohnt. Und mit dem wohligen Gefühl, die Mysterien einer faszinierenden Kunstwelt eigenhändig erschlossen zu haben. Qualitäten, die den Soulslikes von From Software weltweiten Nischenkultstatus bescherten. Mit „Elden Ring“ heischt die Firma nun Mehrheitsfähigkeit, Chefgestalter Hidetaka Miyazaki konnte sogar „Game of Thrones“-Schöpfer George R. R. Martin als Stoffentwickler gewinnen. Wovon man leider wenig merkt. Die „Elden Ring“-Mythologie wirkt auf den ersten Blick rudimentär: Es gibt kaum Dialoge, den Plot rund um eine Riege „Befleckter“, die sich im magischen „Zwischenland“ mit Halbgöttern um die Splitter des titelgebenden Schmuckstücks raufen, muss man sich en gros selbst zusammenreimen. Nur eine gewisse Düsternis – und die hohe Todesfrequenz der Spielerfigur – gemahnen an Martins Fantasy-Hit.

Landschaften wie aus Böcklin-Gemälden

Wahrhaft erweitert hat sich indessen der Leveldesign-Horizont. Wo bisherige Soulslikes den Spieler auf Spurensuche durch finstere Schlösser und Katakomben schickten, fächert „Elden Ring“ ein weithin offenes, vielgestaltiges und ästhetisch atemberaubendes Zauberreich auf: Ein gefallenes Paradies, das an Gemälde Arnold Böcklins erinnert, voller Wälder, Festungen und zerklüfteter Ruinenlandschaften.

Hier kann man sich frei bewegen, zu Fuß oder hoch zu Ross, bewehrt mit Bögen und Flegeln, Elixieren und magischen Schriftrollen. Und sich nach Lust, Laune und Frusttoleranz mit marodierenden Banden oder fantastischen Kreaturen anlegen. Letztere bilden die Highlights des Spiels: Drachen, Bären und turmhohe Riesen zählen hier noch zu den konventionelleren Widersachern. Lebende Tontöpfe, krabbelnde Zombiehände oder wandelnde Eiserne Jungfrauen verweisen schon etwas deutlicher auf den asiatischen Ursprung von „Elden Ring“.

Übrigens ist das Spiel gnädiger als seine Vorgänger, dient sich Einsteigern im Vergleich nahezu an. Sonntagsspieler sollten sich trotzdem nicht darauf einlassen – dafür ist die Lernkurve immer noch viel zu steil. Ein Tipp: Stures Pauken von Feindmanövern führt zwar zum Erfolg, aber selten zu Genuss, Eskapismus wird dann schnell zu Masochismus. Innehalten, Überlegen, Ausprobieren, das beflügelt schon eher. So kann „Elden Ring“ einem neuerlich beibringen, was uns die ganzen Selbstläuferspiele vielleicht schon ausgetrieben haben: Spielfreude.

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