Osteuropäische Ängste vor einer „Nato light“

Russlands mögliche Beteiligung an gemeinsamer Raketenabwehr sieht man in Warschau skeptisch.

[Warschau/Flue]„Die Beziehungen zu Russland dürfen nicht auf Kosten der Sicherheitsinteressen anderer osteuropäischer Länder gehen“, warnt Polens Staatspräsident Bronisław Komorowski in einem offenen Brief anlässlich des Nato-Gipfels von Lissabon.

Komorowski, vor seiner Wahl ins höchste Staatsamt mehrmals Verteidigungsminister, sagt damit offen, was Balten und Tschechen bisher meist nur leise angedeutet haben: Osteuropa hat Angst vor jenen Stimmen in der Nato, die möglichst rasch und eng mit Russland zusammenarbeiten möchten. Angst vor Deutschland und Frankreich – und vor allem vor Russland selbst.

Der Besuch des russischen Präsidenten Dmitrij Medwedjew in Lissabon gilt zwar dem gleichzeitig tagenden Nato-Russland-Rat, doch die Symbolik ist niemandem in Mittelosteuropa entgangen. Zwar wird die Nato den gegenseitigen Beistandspakt explizit auch auf Polen, das Baltikum, Tschechien und Ungarn ausweiten, doch angesichts des Schreckgespenstes Moskau kann man sich nicht so richtig darüber freuen. „Wir wollen die USA weiterhin in Europa halten“, betont Komorowski und kündigt die Beibehaltung der engen Beziehungen Warschaus mit Washington an.

Polen will Patriot-Raketen

Obamas Vorgänger George W. Bush wollte Teile des US-Raketenabwehrschirms in Polen und Tschechien errichten. In Lissabon soll unter anderem über eine Integration dieses Systems in die Nato-Strategie verhandelt werden, der geplante Raketenschirm ist nach Obamas „Reset“ mit Moskau zu einem Köder für eine russische Nato-Einbindung geworden.

Russland solle an dem Projekt teilhaben können, schreibt Komorowski, doch Polen wolle keineswegs auf die versprochenen Patriot-Raketen verzichten. Dass jene nur wenige Kilometer von der polnisch-russischen Grenze zum Oblast Kaliningrad stationiert werden sollen, ist Balsam auf die polnische Seele.

Ob Russland das Angebot in Lissabon annimmt, steht in den Sternen. Man stelle sich jedenfalls auf „schwierige Verhandlungen“ ein, sagte Moskaus Nato-Botschafter Dimitrij Rogozin.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.11.2010)

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