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"Come On, Come On": Mann trifft Kind, Heilung beginnt

Joaquin Phoenix und Woody Norman in "Come On, Come On" von Mike Mills.
Joaquin Phoenix und Woody Norman in "Come On, Come On" von Mike Mills.(c) A24 / Panda Film
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In Mike Mills' Drama „Come on, Come on“ findet ein Radiomacher (Joaquin Phoenix) beim Babysitten des Sohnes seiner Schwester zu sich selbst. Preziös, aber sehenswert.

Bla, bla, bla! So äfft der Bub den Onkel nach, den er gerade spielerisch zum Interview geladen hat, mit Mikro und allem drum und dran, einschließlich fordernder und persönlicher Fragen: Warum verstehen du und Mama euch nicht so, wie Bruder und Schwester es tun sollten? Warum bist du alleinstehend? Hast du meiner Mutter geraten, meinen Vater zu verlassen, als er das erste Mal psychisch erkrankt ist?

Es sind Fragen, die der Onkel nicht beantworten will. Er windet sich, findet Ausflüchte, drechselt Gemeinplätze. Bla, bla, bla. Dabei kennt sich Johnny (Joaquin Phoenix) mit Fragen und Antworten aus. Hauptberuflich arbeitet er fürs Radio, reist mit Aufnahmeausrüstung durch die USA und sammelt – wie unlängst Pietro Marcello, Francesco Munzi und Alice Rohrwacher in ihrem schönen Dokumentarfilm „Futura“ – O-Töne junger Menschen zum Thema Zukunft. Hier wirkt Johnny locker und gelöst, reagiert intuitiv auf Gesprächspartner. Doch beim unverblümten, im Spaß angezettelten Verhör seines neunjährigen Neffen macht er dicht.

Offenheit, Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit – wie auch immer man die emotional unverstellte Auseinandersetzung mit sich selbst und anderen nennen will, sie fällt uns oft fürchterlich schwer. Und ist auch nicht in allen Fällen angebracht. Dennoch scheint derzeit vielerorts der Konsens zu herrschen, dass es in dieser Hinsicht gesellschaftlichen Nachholbedarf gibt. Ein Glaube, den auch das Kino in all seinen Spielarten widerspiegelt: von der jüngsten „Batman“-Neuauflage, in der der Titelheld der Pathologie seiner Rachsucht ins Auge blickt, bis zum japanischen Oscar-Kandidaten „Drive My Car“ – einem Drama über den Gefühlsfrühling eines verschalten Theatermachers. Bei Bedarf könnte man sogar Ulrich Seidls Vater-Tochter-Kiste „Rimini“, die demnächst bei uns anläuft, in diesem Sinn auslegen.

Knuffiger Schlurf, nerviges Gfrast

Mit seinem vierten Langspielfilm, „Come on, Come on“, liefert der US-Autorenfilmer Mike Mills nun den lieblichen Hipster-Beitrag zum Leinwandtrend – passenderweise vertrieben vom Hipster-Verleih A24. Angesiedelt im passabel situierten Kulturarbeitermilieu von L. A. und New York, macht Mills ein loses Dreigespann zum Dreh- und Angelpunkt seiner wohlig mäandernden Meditation über Trauer und Hoffnung, Wahrhaftigkeit als Voraussetzung von Verantwortungsbewusstsein, die Bande zwischen Kindheit und Erwachsenenalter.

Radio-Johnny, ein knuffiger Schlurf, hat sich mit seiner liebenswerten Schwester Viv (Gaby Hoffmann) seit dem Tod der Mutter ein bisserl zerstritten. Aber nicht schlimm. Als Vivs psychisch labiler Partner Fürsorge heischt, bittet sie den Bruder, sich in Los Angeles um ihren Sohn Jesse (Woody Norman) zu kümmern. Und der ist „a handful“, wie es auf Englisch heißt – also nicht gerade leicht im Umgang. Doch je länger das Gfrast Johnny mit nervigen Mätzchen auf die Palme treibt, desto mehr sieht er sich gezwungen, ihren Wurzeln auf den Grund zu gehen, sich mit seiner entfremdeten Schwester, ihrem Mann und sich selbst zu beschäftigen – was sich als überfällig und heilsam erweist.

Den potenziell hohen Kitschfaktor dieses Plots dampft Mills mit seinem gewohnt feinsinnigen, anheimelnd poetischen Stil auf ein erträgliches Maß ein. US-Stadtland

schaften erstrahlen beschaulich in den sanft realistischen Schwarz-weiß-Aufnahmen des irischen Kamerakönners Robbie Ryan. Bryce und Aaron Dessner, Gründer der Rockband The National, legen flauschige Klangteppiche darüber aus. Das Schauspiel begeistert, allen voran die Sperenzchen des erprobten Kinderdarstellers Norman. Phoenix, der exaltierte Expressionist (siehe „Joker“), meistert die Aufgabe, ganz normal zu wirken.

Zudem spickt Mills den Film mit semidokumentarischen Interviewszenen, lässigen Songs und Ausschnitten aus berückender Lektüre. Fühlt man sich diesem bisweilen etwas preziösen Gedächtnispalast zugetan, kann man sich gut darin einrichten. Anderen könnte es ergehen wie der Filmkritikerin Manohla Dargis, die schreibt, „Come on, Come on“ sei „a nice movie about characters who are so nice that I almost feel bad for not being nicely disposed toward them“.

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