Film

Mit Gottes Segen und viel Mascara

The Eyes of Tammy Faye
The Eyes of Tammy FayeSearchlight Pictures
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„The Eyes of Tammy Faye“ zeichnet den Aufstieg und Fall einer exzentrischen Fernsehpredigerin nach. Hauptdarstellerin Jessica Chastain hat damit gute Oscar-Chancen. Zu sehen auf Disney+

Wer im Amerika der 1970er- und 1980er-Jahre kein Fan der damals aufpoppenden christlichen Fernsehsender war, dem war Tammy Faye Bakker vielleicht durch die vielen Karikaturen und Persiflagen bekannt, mit denen sich die Medien über sie lustig machten. Beliebtes Motiv: eine in Tränen aufgelöste Fratze, der eine bunte Suppe über das Gesicht läuft. In Wirklichkeit hielt das markante Make-up der Fernsehpredigerin stets allen emotionalen Ausbrüchen – von denen es in ihren Sendungen viele gab – stand. Zuletzt hielt es auch jedem Abschminkversuch stand, wie die erste Szene des Films „The Eyes of Tammy Faye“ zeigt: Eine gealterte Tammy Faye sitzt in der Garderobe. Eine Visagistin will ihr einen unauffälligeren Look einreden. Aber die Schminke lässt sich nicht mehr abreiben. Die Striche um Lippen, Augen, Augenbrauen: Alles tätowiert. Und die dick getuschten Wimpern bleiben, wie sie sind, bestimmt Tammy: „Das bin ich.“

Nein, das ist kein Film über Make-up, der jetzt auf Disney+ zu sehen ist und der Jessica Chastain am Sonntag mit einiger Wahrscheinlichkeit ihren ersten Oscar für ihre Darstellung der schillernden Tammy Faye (1972–2007) einbringen könnte. Aber die mitunter clowneske Gesichtsbemalung dieser Figur ist ein wichtiger Faktor. Nicht zuletzt, weil es doch oft die ungeschminkten, „nackten“ Rollen sind, mit denen Schauspielerinnen ihre Kunst gern unter Beweis stellen. Chastain aber – deren Firma den Film produziert hat – gibt hier eine Frau, die gerade in einer Maske authentisch war. Wie Chastain, unter allerlei Prothesen kaum erkennbar, dieses hamsterbackige Gesicht sprechen lässt, ist beachtlich.

Kirche und Showbusiness

Der Film, inszeniert von „The Big Sick“-Regisseur Michael Showalter und basierend auf einer gleichnamigen Doku, zeichnet Tammy Fayes Leben von der Kindheit über ihre Anfänge als Puppenspielerin in Gottes Auftrag und ihren Aufstieg im TV bis zu ihrem Fall nach. Zugleich ist er ein Porträt einer Ehe, die vom Einfluss der Kirche wie auch des Showbusiness geprägt ist. Diese beiden Sphären sind kein Widerspruch, jedenfalls nicht in den USA, wo „televangelists“ immer noch erfolgreich sind.

The Eyes of Tammy Faye
The Eyes of Tammy FayeSearchlight Pictures

Mit ihrem Mann Jim Bakker baute Tammy den Sender PTL (für „Praise the Lord“) auf, der die damals beliebten Talk-Formate und den Unterhaltungswert des säkularen Fernsehens mit religiösen Botschaften verband. Andrew Garfield spielt diesen begeisterten Prediger, der von Geld und Einfluss korrumpiert wird, einnehmend (die Oscar-Nominierung blieb wohl nur deshalb aus, weil er schon für das Musical „Tick, Tick . . . Boom!“ nominiert ist). Die beiden lernen sich am Bibel-College kennen, wo sie anecken: Tammy Faye wegen ihrer geliebten Schminke („Sünde!“), Jim wegen seiner Übungs-Predigten: „God does not want us to be poor“, frohlockt er; Gott werde die Gläubigen mit ewigem Leben, ewiger Liebe und ewigem Reichtum beschenken!

Sie singt christliche Country-Pop-Songs, die Spendentelefone laufen heiß

Flotte Montagen zeigen, wie Gottes Geschenk wirkte: Die aufgetakelte Tammy singt christliche Country-Pop-Songs mit ihrer jaulenden, quiekenden Stimme, ein grinsender Jim schwingt Reden, die Spendentelefone klingeln. Ewig währte das nicht: Jim landete nach der Veruntreuung von Geldern und einem Vergewaltigungsvorwurf im Gefängnis. Tammy rappelte sich auf, wurde zu einer Ikone der LGBT-Bewegung, die sie gegen den Widerstand der konservativen Pastorenschaft stets unterstützt hatte.

„Ich liebe alle Menschen“, sagt sie immer wieder und blickt vergnügt aus großen Augen. „The Eyes of Tammy Faye“ gibt sich ihrer skurril überdrehten Frömmigkeit und ihrer Widersprüchlichkeit lustvoll hin – und stellt sie als missverstandene Heldin der Akzeptanz, zugleich aber auch als gewiefte Performerin dar. Der Film mag nicht hinter die Maske der Tammy Faye blicken – aber doch hinter ihre vordergründige Lächerlichkeit.

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