Interview

Matthias Strolz: „Wir müssen Herz und Bauch integrieren“

Matthias Strolz
Matthias Strolz(c) Die Presse/Clemens Fabry (Clemens Fabry)
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Matthias Strolz sprach für sein neues Buch mit einem Baum – und plädiert für eine neue Spiritualität: Als reine Rechenmaschine würde der Mensch von der Evolution bald aussortiert.

Wie geht's Ihrer Föhre? Hat sie sich schon ein Postfach zugelegt, wie sie im Buch scherzt?

Haha, noch nicht. Es gab Beschwerden, dass ich zuletzt mit einem Baum abgebildet war, der offensichtlich keine Föhre ist. Sie wird geschützt. Ich verrate ihren Ort auch nicht. Da bin ich in Vertraulichkeit gebunden.

Wie erklären Sie jemandem, der Sie schon belächelt, wenn Sie Bäume umarmen, dass Sie jetzt ein Buch mit einem Baum geschrieben haben?

Ich verstehe, dass das Stirnrunzeln hervorruft. Wenn jemand sagt, das ist ja gar nicht möglich, dann lasse ich das natürlich auch gelten. Kinder reden ganz selbstverständlich mit Bäumen. Ich habe halt auch selbstverständlich mit dem Baum gesprochen. Allerdings mit Anlaufschwierigkeiten. Die ersten Versuche haben nicht funktioniert. Ich glaube, dass viele erwachsene Menschen es einfach nicht länger als 15 Minuten versucht haben. Natürlich höre ich den Baum nicht so, wie ich meinen Nachbarn sprechen höre, sondern der Baum spricht in mir. Allerdings bleib ich dabei: Ich hätte das Buch allein in dieser Form nicht schreiben können.

Wie kann man sich das vorstellen?

Ich bin über ein Jahr immer wieder zu Besuchen bei meiner Föhre gewesen, 90 Prozent des Buches wurden tatsächlich angelehnt an den Baumstamm der Föhre geschrieben und in Zwiesprache mit ihr. So wie Albert Einstein Zwiesprache mit dem Universum gehalten hat. Er sagt ja auch: Meine großen Erfindungen kamen nicht im Nachdenken, sondern ich setz' mich auf einen Strahl der Sonne, reite ins Universum und komme mit einer Idee zurück, und dann wird sie im Kopf in eine Theorie verwandelt. Der Ursprung war für Einstein offensichtlich Intuition oder Inspiration. So wie für viele große Wissenschafter. Die Ratio macht dann die Feinarbeit. So gut wie alle Malerinnen und Maler, mit denen ich über ihren Schöpfungsakt spreche, sagen, das sei jenseits von Worten, sie seien da irgendwo angebunden in einer Sphäre und es fließt gewissermaßen durch sie durch. Für uns Kinder der Postmoderne klingt es gefährlich, aber es ist menschlicher Standard seit tausenden von Jahren.

In der Kunst ist das akzeptiert, in anderen Bereichen weniger.

Dann bin ich Künstler. Man kennt mich halt auch als Politiker und Unternehmer, deshalb irritiert es. Aber in der Essenz sind wir eine Person – mit mehreren Rollen. Und wenn wir in einem spirituellen Reifeprozess sind, und das bin ich, dann bleibt keine Lebenslage davon verschont. Natürlich muss man sich auch in acht nehmen: Manches, was sich als spirituelle Reifung anbietet, ob in Büchern, Seminarangeboten oder Religionen, mag eine Verführung oder Verwechslung sein. Da lauern Abrisskanten aller Art. Mir ist völlig klar, dass etwa im Esoterikmarkt ganz viele Scharlatane unterwegs sind, die ein reines Geschäftsmodell draus machen. Deshalb wähle ich für mich bewusst den Begriff Spiritualität. Da kann ich übrigens auch gut anknüpfen an mein katholisches Erbe und die lange Tradition der Mystiker.

Inwiefern?

Ich bin ein Bergbauernkind aus dem katholischen, alemannischen Hochgebirge. Wenn ich in Zwiesprache bin mit dem Universum über Vermittlung eines Baumes, dann kommen mir Querbezüge zu meinem Erfahrungsschatz als Katholik, als Ministrant, oder als eher veranlasster Kirchgänger – meine Mutter hat mich dreimal die Woche geschickt. Wir sind eben Kinder der Aufklärung und der Postmoderne, wir hauen die allermeisten Rituale über Bord, auch Religionsmitgliedschaften. Das hat mitunter gute Gründe. Gleichzeitig hat es in der breiten Masse zu einer spirituellen Verarmung geführt. Hier kommt mein Plädoyer: Ich glaube, dass wir die Aufklärung nicht abgeben müssen, wenn wir spirituell sein wollen. Wo ich jetzt bin in der Erkenntnis, bin ich ein kleines Licht, da waren vor mir millionenfach andere, unter anderem Max Planck, Erwin Schrödinger, Nikola Tesla, als Mystikerin Hildegard von Bingen.

Was würde den Homo Universus, wie Sie ihn nennen, ausmachen?

Den Homo Universus, für den ich werbe, prägt ein neues Selbstverständnis für uns als Menschen. Er ist zutiefst verbunden mit allen Erscheinungen des Lebens. Würden wir uns als Teil der Natur begreifen, könnten wir die Natur nicht in dieser Form schänden, könnten wir keinen Turbokapitalismus leben. In dieser Verbundenheit könnten wir auch keinen Angriffskrieg gegen unsere Geschwister führen.

Sie sind nicht der Einzige, der die These vertritt, dass die Menschheit am Sprung zu einer neuen Entwicklungsstufe stehen könnte. Woran würden Sie das festmachen?

Vor allem an der Notwendigkeit: Wir sind Kinder der Evolution, ich steh auch auf den Schultern der Aufklärung und der Naturwissenschaften. Da will ich nicht runter, ich will allerdings Wissen und Weisheit integrieren. Wenn wir so weitermachen wie in den letzten paar Jahrhunderten, dann werden wir keinen Platz haben als Spezies. Die Hegemonie der Naturwissenschaft hat uns in den letzten 400 Jahren unglaublich weit geführt, sie hat uns eine doppelt so lange Lebenserwartung beschert, meiner Generation als erster in der Menschheitsgeschichte die Zentralheizung gebracht. Das will ich alles nicht rückabwickeln. Aber wir müssen den Kopf mit dem Herzen und dem Bauch integrieren. Es gibt zahlreiche Wissenschafter, die an der Herz-Hirn-Kohärenz forschen, aber es ist noch nicht allgemein anerkannt. Wenn wir uns weiter nur auf das Hirn und die Rechenleistung des Homo Sapiens konzentrieren, wird uns die Evolution aussortieren. Dann werden wir von der künstlichen Intelligenz überholt, schon in den nächsten Jahrzehnten. Die Aufklärung ist die Antithese auf die prärationale Zeit, als die Götter uns mit Donnerschlag gestraft haben. Und jede Antithese geht in die völlige Übertreibung, in den Exzess. Jetzt sollten wir den Exzess überwinden. Nicht zurück ins Prärationale, sondern auf ins Transrationale. Synthese – die Versöhnung von Naturwissenschaft und Spiritualität.

In der Pandemie hatte man den Eindruck, dass die Menschen nicht einmal rational sind, weil sie nicht verstanden haben, wie Wissenschaft funktioniert; dass eine Erkenntnis die nächste ablöst. Wäre eine Rückentwicklung möglich?

Absolut. In der integralen Community diskutieren wir das weltweit. Wir sind ja in einer Regression, in ganz vielen Demokratien beispielsweise. Das Phänomen Trump ist ohne Regression gar nicht erklärbar. Wir wissen nicht, wie lang diese Regression geht. Wie lang dauert der Wimpernschlag der Zeitgeschichte? Eine Generation oder fünf Jahre? Und es ist vorstellbar, dass wir in der Regression hängen bleiben. Das halte ich allerdings nicht für wahrscheinlich. Eher halte ich diese Regression für so etwas wie den Hofnarren der Zeitgeschichte. Er überhöht noch einmal pathologische Muster in unserem Sein und Tun, macht sie damit noch einmal klarer sichtbar, stößt uns damit noch einmal mit der Nase drauf, damit wir Schwung holen können für die nächste Entwicklungsstufe.

Auf einen Blick

Matthias Strolz ist Impact- und Startup-Unternehmer, Autor, bekennender Freigeist und Coach. Er studierte Politikwissenschaften, Internationale Wirtschaftswissenschaften und Systemische Organisationsentwicklung. 2012 gründete er die NEOS mit, für die er bis 2018 Parteichef war. 2019 war er Co-Gründer bei der Geschichten-Plattform story.one, ebenfalls 2019 erschien „Sei Pilot deines Lebens“ (Brandstätter Verlag), in dem er in fünf Schritten einen Weg zur Selbstentfaltung aufzeigt. 2020 erschien „Kraft und Inspiration für diese Zeiten“ (Story One).

Gespräche mit einem Baum. Kailash Verlag, 272 Seiten, 18,50 Euro. Erstpräsentation am 29. März, 19 Uhr, Thalia Wien Mitte.

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