Interview

Faßmann: "Die Akademie wird weiblicher werden"

Heinz Faßmann: „Wer glaubt, es gibt angewandte Forschung ohne Grundlagenforschung, der irrt.“
Heinz Faßmann: „Wer glaubt, es gibt angewandte Forschung ohne Grundlagenforschung, der irrt.“ Die Presse/Clemens Fabry
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Heinz Faßmann, designierter Präsident der Akademie der Wissenschaften (ÖAW), sagt, dass Exzellenz Merkmal bleiben solle und die Grundlagenforschung weiter expandieren, auch Richtung Europa. Frauen sollen künftig mehr mitgestalten.

Die Presse: Ich möchte Sie eingangs zu einem Gedankenspiel einladen, mit dem in der Kommunikation gern die Positionierung einer Marke festgemacht wird. Wenn die ÖAW ein Auto wäre, was wäre sie?

Heinz Faßmann: Ein leistungsfähiges Auto, das steile Berge befahren und schnell auf der Autobahn sein kann. Aber sie hat auch Attribute des traditionellen Autobaus, verfügt also über beides: Modernität auf der einen und Tradition auf der anderen Seite.

Jemand aus dem Uni-Bereich hat mir im Vorfeld auf dieselbe Frage gesagt, die ÖAW erinnere an die Mercedes-S-Klasse – sie sei elitär, prestigeträchtig und konservativ.

Elitär stimmt, ist aber im Sinne der Wissenschaftlichkeit kein Nachteil. Wir versuchen in der Wissenschaft immer, nach dem Besten und Neuem zu streben. Und konservativ ist eine Frage des Standpunkts.

Anders gefragt: Wofür steht die ÖAW heute, was zeichnet sie aus, auch im Vergleich zu Unis?

Die Unis haben ihre Aufgabe in Forschung und Lehre. Die Akademie kann sich auf Forschung konzentrieren, das ist ihr großer Vorteil. Sie steht für Spitzenforschung. Und sie steht auch dafür, dass sie sich immer wieder selbst erneuert, auch hinsichtlich des Fächerkanons. Wer hätte vor 20 Jahren gedacht, dass einer der Schwerpunkte die Molekularbiologie sein kann oder sich ein anderer der Quantenphysik annimmt? Das sind Beweise dafür, dass sich die Akademie evolutionär weiterentwickelt.

Apropos weiterentwickeln: Wo sehen Sie Reformbedarf?

Wir haben dieses und nächstes Jahr eine unterschriebene Leistungsvereinbarung abzuarbeiten. Da ist Neues zu realisieren, etwa in der Metabolismusforschung das zukünftige Cori-Institut in Graz (benannt nach der österreichisch-US-amerikanischen Biochemikerin und Nobelpreisträgerin Gerty Theresa Cori, 1896–1957, Anm.). Auch die Antisemitismusforschung ist wissenschaftlich ertragreich und hat gesellschaftspolitische Relevanz. Und es werden bestimmte Area Studies intensiviert, Stichwort Kaukasusforschung. Der Konflikt östlich von Österreich zeigt, wie wichtig es ist, über diesen Teil von Europa mehr Wissen zu besitzen, um manches zu verstehen.

Wo sehen Sie die ÖAW in fünf Jahren, also nach einer Amtszeit?

Exzellenz, Expansion und Europa sind die drei Prinzipien, die ich realisieren möchte. Erstens ist das Exzellenzprinzip wichtig. Zweitens würde es der Akademie guttun, wenn die Grundlagenforschung expandiert. Diese nährt gleichsam die angewandte Forschung. Wer glaubt, es gibt angewandte Forschung ohne Grundlagenforschung, der irrt. Drittens ist Europa eine ganz wichtige Dimension. Wir haben mit Horizon Europe ein europäisches Forschungsrahmenprogramm, das respektable Möglichkeiten bietet. Diese sind zu nutzen.

Sie meinten nach Ihrer Wahl, man müsse die einmalige Dualität der ÖAW als Forschungsträger und Gelehrtengesellschaft, die auch berät, hochhalten. Wissenschaftsforscher Thomas König vom Institut für höhere Studien sagte dazu, das seien zwei verschiedene Dinge, die anders gemanagt werden müssen. Passt beides unter ein Dach?

Die Akademie hat zwei Standbeine. Ich wüsste nicht, was es bringt, diese zu trennen. Man vergibt Synergien, die man nutzen kann.

Gibt es in Österreich nicht schon genug Gremien, die beratend tätig sind? Die Struktur wirkt ja bereits zersplittert.

Eben, wir haben schon sehr viele unterschiedliche Einrichtungen. Ich bin froh, dass beides in einem Haus vorhanden ist: der Forschungsträger und die wissenschaftliche Beratungsexpertise, sowohl für die Akademie selbst als auch für die Gesellschaft.

Was entgegnen Sie jenen, die meinen, der ÖAW, insbesondere der Gelehrtengesellschaft mit ihrem hohen Durchschnittsalter, fehle der moderne Schwung? Wie wollen Sie für diesen sorgen?

Das Wesentliche ist, den Forschenden jenen Freiraum einzuräumen, der notwendig ist, um wissenschaftliche Innovationen schaffen. Die Gelehrtengesellschaft kann beraten, das Präsidium entscheidet über Ressourcen, aber die Forschung entwickelt sich durch die Forschenden weiter. Der Schwung kommt von unten und oben.

Böse Zungen meinen auch, die ÖAW erinnere an einen Klub älterer Herren . . .

Da darf man nicht unfair sein, das ändert sich sehr schnell – und wer diesen Klub mit wachem Auge betrachtet, wird sehen, dass es hier schon sehr, sehr viele hoch qualifizierte Frauen gibt. Bei den weiblichen Mitgliedern hatten wir zuletzt eine starke Steigerung: Der Frauenanteil an den neugewählten Mitgliedern lag 2021 bei 61 Prozent.

Das Präsidium der ÖAW ist derzeit mit vier Männern besetzt. Wird man in Ihrem Team mehr Diversität finden?

Definitiv. Mein Vorschlag wird lauten, dass 50 Prozent der Präsidiumsmitglieder weiblich sind. Und wenn die wahlberechtigten Mitglieder dem zustimmen, wird es ein Präsidium geben, das es in der 175-jährigen Geschichte so noch nicht gegeben hat. Die Akademie wird weiblicher werden.

Sie werden nun fünf Jahre die ÖAW führen. Wird diese dann – oder in zehn Jahren, nach einer zweiten Amtsperiode – reif für die erste Frau an der Spitze sein?

Natürlich, gar keine Frage. Wir gehen diesen Weg. Aber unter dem Strich wird die Frage nicht lauten, Frau oder Mann, sondern wer hat die besten Qualifikationen, um so eine Einrichtung leiten zu können.

ZUR PERSON


Heinz Faßmann (66), studierter Geograf, wurde am 18. März 2022 an die Spitze der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) gewählt.

Der neue Präsident übernimmt das Amt am 1. Juli 2022 vom Quantenphysiker Anton Zeilinger. Faßmann ist seit 2000 ÖAW-Mitglied, bis Dezember 2021 war er Wissenschaftsminister.

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