Was, wenn das eigene Leben zu zerbröseln beginnt? Und alle der Meinung sind, es sei doch gar nicht viel passiert? Julia Schochs neuer Roman „Das Vorkommnis“ berichtet von einem Familiengeheimnis, das gar nicht so geheim war.
Manche Texte sind vorsichtig. Sie erzählen keine großen Geschichten, nicht von Krieg und Verderben, nicht von Geburt und Tod, nicht von der alles verschlingenden Liebe. Da werden keine Generationen umspannt, keine Rätsel gelöst, keine einzige große Frage wird hier gestellt (und erst recht wird keine beantwortet). Und dabei wachsen sie uns ans Herz wie die stillen Kinder in der Sandkiste, die in einem Eck ihre Puddingformen-Sandkuchen bauen und mit den Blättern des nahen Strauchs verzieren.
Julia Schoch hat ihrem Roman ein Motto vorangestellt: „What's that on your pocket? – That's nothing. It's just a little blood“, ein Zitat aus dem Film „Flesh and Bone“. Es gibt den Ton vor. Es sagt: Es ist etwas passiert. Aber es ist keine große Sache. Nicht wirklich. Oder? Jedenfalls – jetzt sind wir beim „Vorkommnis“, das dem Roman den Titel lieh – signierte die Ich-Erzählerin, eine Schriftstellerin, in einer norddeutschen Stadt ihren Roman, als eine fremde Frau auf sie zutrat. Sie trug eine Wetterjacke und flache, praktische Schuhe und erklärte: Sie beide hätten denselben Vater.