China erlebt innere Krisen und geopolitische Wirren. Dennoch steht der kommunistische Einparteienstaat stark da, leistungsbewusst, kalkulierend. Der Wirtschaftshistoriker Adam Tooze beantwortet die Frage: Was macht Chinas ökonomischen Erfolg aus?
Wir unterhalten uns heute, während Russland seit einem Monat einen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt. Das verleitet manche dazu, den Westen wieder benennen zu wollen. „Westen“ wie Liberalismus, Demokratie. Als die andere Seite wird da schnell Russland ausgemacht – und China. Illiberal und autoritär.
Adam Tooze: Das ist ein fürchterlicher Kurzschluss, der Westbegriff an sich schon.
Es war erstaunlich, wie schnell das Wort „Westen“ überhaupt wieder da war, nachdem es einige Jahre lang so wenig Interesse daran gab. Die USA waren schwach, Donald Trump verteufelte die Nato, Europa ging durch seine inneren Krisen. Die russische Invasion hat den Westen auferstehen lassen.
Kudos an die Ukrainer, die bekommen diesen Informationskrieg unglaublich gut hin. Aber so wenig akkurat dieser Westbegriff auch ist: Zumindest kann man darüber sagen, dass die Konvergenz der politischen Systeme, der Werte ja tatsächlich ein historisches Projekt ist, an dem wir – Europäer, Amerikaner, Australien, Neuseeland, Japan – kollektiv gearbeitet haben. G7, Nato, OECD: Das ist ja eine ständige Arbeit des Sich-Verwestlichens. Aber im selben Atemzug von China und Russland als geeinte Gegenseite zu sprechen, ist absurd. Nicht, dass es nicht strukturelle Konvergenz gibt; nicht, dass es nicht auch seit dem Kollaps der Sowjetunion ein gemeinsames Streben nach einer multipolaren Welt gab: Die Logik dieser Verbindung ist nicht von der Hand zu weisen. Aber das chinesische und das russische innere Modell einfach unter dem Begriff „Autoritarismus“ zusammenzufassen, ist wirklich eine liberale Verblödung. Nur weil sie nicht so sind wie wir, heißt das doch längst nicht, dass sie einander ähneln. Das ist doch absurd.