Musikverein

Dem Tanz mit Adès entkommt keiner

Der Komponist debütierte im Philharmonischen mit einer beziehungsreichen Mixtur aus Eigenem und Musik von Alban Berg und Maurice Ravel.

Ob Papst oder Kaiser, König oder Kardinal: Selbst den Höchsten auf Erden nützt da nichts, der Tod holt sie alle zu seinem Reigen, ungeachtet ihres Rangs, bis hinunter zum Bettler. Solche „Totentanz“-Darstellungen sind aus dem Mittelalter zahlreiche bekannt, auch in der Musik haben sie ihre Echos hinterlassen.

Was auch immer die Menschen in ihrer letzten Stunde vorbringen, vergeht vor dem Wink des Sensenmannes, verkohlt im Nu in dem orchestral auflodernden Fegefeuer, das Thomas Adès dazu anheizt: Der britische Komponist (Jahrgang 1971) hat in seinem 2013 uraufgeführten „Totentanz“ jene Dichtung vertont, die die im 2. Weltkrieg zerstörte „Totentanz“-Bildfolge Bernt Notgers in der Lübecker Marienkirche begleitete.

Adès' Musik vibriert zunächst vor Schreckensfanfaren und archaischer Gewalt, sie schnalzt und kracht, kreischt und stampft wie eine Vernichtungsmaschine, und natürlich ist das „Dies irae“-Motiv bei dergleichen nicht weit. Holzschnittartig in den großen, kräftig gezogenen Konturen, aber zugleich im Detail fein gezeichnet, werden alle Stände abgehandelt in der Wechselrede von Tod (Bariton) und Mensch (Mezzosopran), deren Stimmen sich immer wieder zu Duetten überschneiden.

Die Idyllen sind trügerisch

Der kernige, durch Volumen und pointierten Vortrag gleichermaßen furchteinflößende Mark Stone und die sich zunächst exaltiert windende, in Glissandi heulende Christianne Stotijn sind die ungleichen Gegner im aussichtslosen Kampf, den Adès in Klangkolorit und Wortausdeutung flexibel, aber nie plakativ ausgestaltet.

Wäre er nicht längst ein international erfolgreicher Opernkomponist, müsste man ihm das Genre dringend nahelegen: Seine Theaterpranke ist durchwegs zu spüren, und auch die Dramaturgie stimmt. Denn noch bevor das Ohr zu ermüden beginnt, am vorläufigen Höhepunkt nach der Szene mit dem Kaufmann, wo in einem Orchesterzwischenspiel alle Instrumente in aleatorischem Kontrapunkt à la Lutosławski in höchster Lautstärke sich an einem manischen, panischen Rhythmus festbeißen, schlägt die Stimmung um.

Der Tod bekommt nun auch etwas gespenstisch Tröstliches für die verbliebenen Opfer – beim Mädchen und ihrem stockenden Tanz sowie vor allem beim Kind, in der letzten Szene: Eine trügerische tonale Idylle nimmt Gestalt an, Jenseitsverheißungen nach Mahler und Korngold werden beschworen (und spätestens hier hätte man sich eine lyrischere Menschenstimme gewünscht). Das letzte Wort aber behält das vielfach wiederholte, geflüsterte Gebot „Tanzen!“, in streng durchgehaltenem Dreiertakt. Großer Jubel – und schon vor der Pause herzliche Anerkennung für klingende Endzeit: Alban Bergs düstere Orchesterstücke op. 3 und die sehr persönlich ausgekosteten Delirien von Maurice Ravels „La valse“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.03.2022)

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