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Was tun im Krisenmodus?

Was tun? Sich eindecken mit Treibstoff, Lebensmitteln, Plänen?
Was tun? Sich eindecken mit Treibstoff, Lebensmitteln, Plänen?APA/Helmut Fohringer
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Ziemliches 1930er-Jahre-Feeling: Werden auch wir flüchten, und nennen wir es dann Reise?

Ich tu mir schwer mit der schlimmsten Art von Reise – der Flucht. Zerbombte Wohnhäuser, überquellende Rollkoffer, heulende Kinder mit Angst vor Flugzeugen, weil sie lernen mussten, dass Flugobjekte Bomben herunterschmeißen. Wäre ich der russische Präsident, würde ich mich nach dem ersten TV-Bildbeitrag aus Scham verkriechen oder zumindest, wenn ich den Mut dazu nicht hätte, den Befehl zum Rückzug aller Truppen geben. Nur ein Mensch mit schweren psychischen Deformierungen ist fähig, Bombenhagel und Flüchtlingswelle auszulösen und gleichzeitig hinzunehmen.

Es ist alles so unverständlich. Dass ein deformierter Russe, der noch dazu über ein beträchtliches Atomwaffenarsenal verfügt, jahrelang als Staatsmann anerkannt und hofiert wurde, hat mich bereits ebenso jahrelang irritiert. Mein Augenmerk gilt daher jenen beiden undeformierten Russen, denen wir verdanken, dass unsere Welt noch steht.1962, während der Kuba-Krise, verweigerte Wassili Archipow (1926–1998), dessen U-Boot von US-Bomben attackiert wurde, den Abschuss eines Atomtorpedos – während der sowjetische Satellitenüberwachungsmann Stanislaw Petrow (1939–2017) einen Alarm (vermeintliche Attacke durch Interkontinentalraketen, 1983) eigenmächtig und korrekt als Fehlalarm interpretierte. Solche besonnenen Individuen brauchen wir dringend.

Was, wenn es echt brenzlig wird? In den letzten Tagen höre ich, wie Menschen aus unserem neutralen, vom Konflikt noch unberührten Land ihre Flucht planen, alle noch nicht konkret, eher so als Denkmodell. Was tun mitten in diesem bizarren 1930er-Jahre-Krisenfeeling, nachdem all der Klopapierkauf erledigt ist? Die einen kaufen sich ein Auto und zwei Benzinkanister, damit sie im Notfall ein paar Hundert Kilometer zwischen sich und ihren bisherigen Wohnort bringen können. Die anderen planen einen ausgedehnten Urlaubstrip (Südamerika), um das wankende Europa aus sicherer Distanz zu beobachten. Beides nicht übermäßig mutig (muss man nicht sein Land verteidigen, wie verteidigt man sein Land gegen Atomdrohungen?), aber ein neues Fantasiereisegenre. Vorerst.

("Die Presse Schaufenster" vom 25.03.2022)

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