Formel 1

Die Liebe zur Klassik

Je besser sich die Formel 1 auf die Kontinente verteilt, umso eher geht sie als WELTmeisterschaft durch. Gleichzeitig steigt die Sehnsucht nach alten Zuständen. Im Frühjahr zu Mittag war doch Monaco?

VIER MARKSTEINE DER GP-GESCHICHTE SIND GESICHERT: MONACO, SILVERSTONE, SPA, MONZA.

23 Grand-Prix-Rennen kreuz und quer über den Globus machen uns neugierig und weisen den Weg, wo frisches Geld sprießt, bisweilen versickert, insgesamt klingt das alles recht spannend und jedenfalls, äh, zeitgemäß. Weder Nürburg- noch Hockenheimring sind im Kalender, dafür hat sich Österreich mit Spielfeld schon zu einem zentralen Ereignis gemausert, Hollands Zandvoort ist aus den Dünen wundersam wieder aufgetaucht, und die Schweiz hatte einen formidablen Beginn, stellte aber vor 67 Jahren fest, dass Motorsport zu gefährlich sei, und dabei ist es geblieben.

Somit sind von den wirklich gesicherten Ankerpunkten der Grand-Prix-Geschichte nur noch vier übrig geblieben: Monaco, Silverstone, Spa und Monza.

Wir freuen uns jetzt einmal auf Monaco (29. Mai) und holen ein paar Farbtupfen aus der Erinnerung. Hilfreich, dass dies die einzige berühmte Rennstrecke ist, die man eins zu eins als Spaziergänger abklappern kann. Es sind 3,3 Kilometer, und es gibt ein paar Kaffehäuser am Weg, wenn auch beklagenswert weniger als in unseren jüngeren Tagen. Am meisten vermissen wir Rosie’s Bar zur Mitte der Steigung und Tip-Top im Bergabschwung. Man bekam dort auch als Tourist ein gewisses Heimatrecht, zumindest bildete man sich’s ein, und wenn bei Rosie’s das gastfreundliche Tier zum Schnuppern kam, hatte man ausreichend Hundehaare bis zum Rückflug.

Fernsehkommentatoren waren ja noch Alleinunterhalter, und Heinz Prüller musste gute zwei Stunden durchhalten. Wenn zwischendurch auf der Strecke weniger los war, erfuhren wir die Geschichte des Siegers von 1929, der Williams hieß, aber nicht wirklich, und wohl Agent für Frankreich und England war. Die ganze traurige Wahrheit wurde erst vor wenigen Jahren fertig recherchiert, ein wildes Leben auf der richtigen Seite, bis zur Ermordung durch die Gestapo.

Für unseren Marsch wählen wir natürlich den Morgen aus, bevor’s eng wird mit den Touristen. Wir haben vom Start weg Sainte-Dévote passiert, wo sich der Pulk ein erstes Mal zusammenquetscht.

Auf halber Höhe der Steigung setzt die fantastische Erzählung zu Innes Ireland von 1960 ein. Der Mann war ein Schotte der prachtvollen Art, Teamkollege von Stirling Moss bei Lotus. Er lag auf dem sechsten Platz, als auf dem Anstieg der Motor plötzlich wegblieb und das Auto zum Stehen kam.

Vielleicht war nur einer der beiden Tanks leer. Die Rennautos hatten damals keine Anlasser, vielleicht war es also die Sache wert, den Wagen die Steigung raufzuschieben, um auf der anderen Seite runterzurollen. Am Anfang kapiert man wohl nicht, wie steil der Hang wirklich ist.
Ireland hatte während des ganzen Wegs einen Streckenposten neben sich, der drauf aufpasste, dass keiner von den Zuschauern half, das hätte die Disqualifikation bedeutet. Die Zuschauer waren begeistert und feuerten den Schotten an, aber der kam jeweils nur wenige Meter weiter und musste sich dann fast unter das Hinterrad legen, um das Auto am Zurückrollen zu hindern. Auf halber Strecke organisierte der Streckenposten immerhin einen Steinbrocken, den Ireland unter das Hinterrad klemmen konnte, sobald er pausieren musste.

Was ihn weiter aufrecht hielt, war ein englischer Fan, der zufällig an Ort und Stelle war und den Fahrer während der ganzen Steigung mit Schimpfworten befeuerte und wild ums Auto herumtanzte (links röhrten die anderen Wagen vorbei, natürlich). Aus Innes Irelands Memoiren: „Come on, Ireland, you lazy hound. Get to your feet. Push, man! Push!“
Wie die Heldentat des Innes Ireland ausging, verraten wir natürlich noch, mittlerweile haben wir die Casino-Höhe erklommen, im Café ein sehr ordentliches Croissant vertilgt und sind am Bergabweg zur Haarnadel, die irgendwie heißt, wurscht, je nach der Firma, die gerade das Hotel gekauft hat, das an dieser unvergleichlichen Stelle steht. Unverändert sieht man im TV den netten Gänsemarsch im ersten Gang, Nostalgie-Fans kennen die Erzählungen von der „Bahnhofskurve“. Uns Hobby-Historiker interessiert, wie man je im engen Gewurl des Fürstentums eine oberirdische Bahntrasse (immerhin Genua – Paris!) unterbringen konnte. Naja, es ging sich aus bis 1965, und die Grafitti im Pissoir des Bahnhofs waren unter den Touristen derart beliebt, dass sogar die Überlieferung eines eigenhändigen Kunstwerks von Jim Clark existiert. Oder Graham Hill, egal, Teil der britischen Folklore jedenfalls.

Unverändert keine Überholmöglichkeit bis zur Rechtskurve an der Küste, und da ist auch schon der Tunnel. Er ist wohl achtmal so lang wie damals, er ist breit und hell und luftig, auch für Fußgänger gesichert, samt Zugang zur Garage, also ein ganzes hochmodernes System. Zu Innes Irelands Zeiten war’s ein stockfinsteres Loch.

Der Lotus also, 1960: Ireland hatte sich sozusagen das Beuschel rausgerissen und den Wagen tatsächlich über den Casino-Platz geschoben, sprang ins Auto, schaltete auf den anderen Tank um, ließ die Kupplung kommen – und nichts passierte. Langsam rollte er runter zur Küste und rollte wieder aus. Ireland: „Vielleicht war es die Hitze oder irgendwas anders, das mich verrückt machte, aber ich begann dran zu denken, den Wagen um den Rest der Strecke zu schieben.“

Also, der stockfinstere Tunnel. Es waren nur noch sieben Autos im Rennen, und Ireland kannte schon die Abstände dazwischen. Er wartete auf den rechten Moment und stemmte sich gegen den toten Lotus. Die Streckenposten schrien und brüllten und schwenkte gelbe Flaggen. Der Lotus kam durch.

Es folgen geschätzte dreihundert Meter, mit denen man in den letzten neunzig Jahren nie etwas Gescheites anfangen konnte, außer sich als Flaneur an die Kaimauer zu lehnen. Im Rennwagen die Geschwindigkeit vom Tunnelausgang mitzunehmen bis zum Links-Schwenk im Hafen (alte Tabac’s Corner), das konnte nie funktionieren. Vorher musste das Tempo gebrochen werden, also mit irgendeiner Art von Schikane. Die ergab, egal in welcher der wechselnden Formen, nicht nur einen Hacker in der Fahrtrichtung, sondern einen Killermoment im ganzen Rhythmus der Strecke. Monaco hat zwar mehr abrupte Szenenwechsel als jeder andere Kurs, aber nur an dieser einen Stelle empfinden die Fahrer eine derart spezielle Irritation, so erzählen es die Wissenden.

Von allen Unfällen in diesem Bereich war der Hafensturz des Alberto Ascari der aufregendste. Das war 1955 mitsamt seinem Lancia. Es gab keinerlei Gurten, ein kräftiger Mann konnte sich rasch befreien und zu einem Boot schwimmen. Zum ewigen Mystery Man hat es Ascari erst durch seinen Todessturz vier Tage danach in Monza geschafft. Zur Ursache gibt es hundert Fake News, aber eine davon muss dann wohl auch wahr sein. Abergläubische Italiener diskutieren noch heute darüber.
Lorenzo Bandini starb 1967 tatsächlich an dieser Stelle, statt ins Hafenbecken geriet sein Ferrari an einen eisernen Poller und ging danach in Flammen auf. Der Unfall ist ein Markstein in der ganzen Motorsport-Historie, weil er im Rückblick als entscheidender Wendepunkt erkennbar bleibt: Weniger Opferbereitschaft, dafür frische Ideen fürs Überleben.

Nach einer guten halben Stunde (ohne Café) ist der Flaneur auf der Höhe der Race Action, also beim Schwimmbad am Hafen, teure Tribünenplätze in der womöglich prallen Sonne.

Wir nähern uns dem Restaurant Rascasse, bei dem auch zwanzig Jahre Vorreservierung nichts nützen. Wenn wir schon von klassischen Zeiten reden, dann war die Haarnadel nicht nach dem Wirtshaus, sondern einem Gasometer benannt, der allerdings 1970 auch schon weggeräumt war, als Jochen Rindt in der letzten Runde um die Ecke kam. Er hatte den führenden Jack Brabham derart gescheucht, dass der zu spät bremste, links an die Strohballen geriet und dem Jochen die Chance zum Durchstechen gab – kollektive Erinnerung der österreichischen Generation Oldie-plus, Heinz Prüller war ziemlich heiser.

Jetzt hätten wir beinahe Innes Ireland vergessen, der auch durch den Gasometer kam, nach zweieinhalb Kilometer Schieberei nun nahe der Agonie. Da er eine gute Stunde Verspätung hatte, musste er nicht lang auf die Zieldurchfahrt des Siegers warten, der hieß Stirling Moss. Danach schob Ireland sein Auto über die Linie und wurde als Siebenter gewertet. Dafür gab’s weder WM-Punkte noch Prämie. Es gibt einfach Dinge, die man zu Ende bringen will, jedenfalls als Schotte.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.