Gastkommentar

Junge Arbeitnehmer wollen ernst genommen werden

(c) Peter Kufner
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Der aktuelle Fachkräftemangel ist lösbar, denn junge Menschen wollen arbeiten. Arbeitgeber sollten dabei nur ein paar Dinge beachten und ihre Vorurteile gegenüber dem Nachwuchs ablegen.

Junge Menschen sind zu verwöhnt. Sie wollen nichts mehr leisten, ihr Traumjob ist „Influencer“. Das beklagen Arbeitgeber oft und suchen händeringend Nachwuchs; in der Gastronomie, im Handwerk, in der Industrie oder in der Pflege. Manche sehen die einzige Lösung darin, Arbeitskräfte aus dem Ausland zu holen.

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In der Zeitung lesen wir fast täglich von diesem „Fachkräftemangel“. Unbestritten ist, dass es vielen Betrieben schwerfällt, junge Arbeitskräfte zu finden und sie zu halten. Für die Klimawende oder den steigenden Bedarf in der Pflege sind engagierte junge Menschen gefragt. Die spürbaren Auswirkungen des demografischen Wandels machen es dringend notwendig, heute zu handeln. Viel wird geredet, aber wird das Richtige getan?

Dabei hält sich ein falsches Vorurteil zäh wie Kaugummi: Die Jungen sind zu anspruchsvoll. Schon im Bewerbungsgespräch fordern sie zu viel. Dabei wird übersehen, dass sich junge Menschen sehr wohl begeistern lassen, wenn sie die richtigen Rahmenbedingungen vorfinden. Sie wollen weniger schuften oder lustlos ihren Job absitzen, sondern mehr Zeit für ihre Familie, Sport, Hobbys. Die Werte haben sich verschoben, da motiviert ein Dienstwagen heute nur mehr wenige. Immer mehr leiden unter dem Leistungsdruck, fühlen sich alleingelassen, erschöpft, voller Ängste. Die Pandemie hat das Problem verschärft.

Der erste Schritt, um den „Fachkräftemangel“ ehrlich zu lösen, wäre, die Pausetaste zu drücken. Das Problem ist von vielen Seiten zu beleuchten, bei der Lösung sind alle Betroffenen einzubinden und ihnen zuzuhören. Mit Mut und Offenheit sind neue Wege zu erforschen, mit dem notwendigen Blick über den Tellerrand. Dann sind gemeinsam Lösungsansätze zu entwickeln, auszuprobieren und anzupassen. Das erfordert ein Umdenken und viel Geduld.

Ein Trend, der Hoffnung weckt: Immer mehr gut ausgebildete Millennials, die in Großstädten leben, erlernen ein Handwerk. Sie lassen sich zu Tischlern, Gärtnerinnen oder Goldschmieden ausbilden. Es ist die Lust am echten Handwerk, das analoge Leben und Arbeiten als verführerische Alternative zu unserem digitalisierten Alltag. Doch im Gegenzug dazu steckt in vielen Köpfen noch fest: „Wenn du gut genug bist, mache keine Lehre, sondern gehe studieren.“ Es wird klug sein, diese Bilder zu verändern und positive Beispiele sichtbar zu machen. Nur dann haben die jungen Menschen eine echte Option in ihrer Berufswahl und können ihren Talenten, ihrer Liebe für das Handwerk oder für die Pflege von Menschen folgen. Auch klassische Gender-Stereotypen sind aufzubrechen, damit in Zukunft eben nicht nur Buben Automechaniker und Mädchen Verkäuferin werden wollen.

Die Vorbereitung auf eine bessere Zukunft muss in der beruflichen Ausbildung in Schulen und Betrieben beginnen, in die investiert werden muss. Dabei ist auf die zeitgemäße Vermittlung neuer Berufsfelder in den Schulen zu achten. Auch die Persönlichkeitsentwicklung und die Förderung der psychischen Gesundheit sind wichtige Hebel. Angebote sind gefragt, die den jungen Menschen dabei helfen, mit Stress und Überforderung besser umzugehen. So wie im Rahmen des Programms „Lehre statt Leere“, in dem österreichweit Lehrlinge Zugang zu kostenlosem Coaching und so Hilfe zur Selbsthilfe bekommen. Bisher war Coaching oft den Führungskräften vorbehalten, doch heute steht es jungen Menschen offen, die Probleme im Job haben und nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen.

In gutes Arbeiten investieren

Doch das allein wird nicht reichen. Um im demografischen Wandel wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen Unternehmen in ein gutes, neues Arbeiten und in ihre Betriebskultur investieren. Denn von schönen Worten in Stellenausschreibungen lassen sich junge Menschen nicht begeistern. Die hierarchische Top-down-Führungskultur hat ausgedient. Gerade junge Menschen wollen Feedback, den Sinn erkennen und eingebunden werden. Sonst sind sie weg. Das heißt auch, dass sich die Geschäftsführung, die Führungskräfte, die berufsbildenden Lehrkräfte weiterbilden und an ihren sozialen Kompetenzen arbeiten müssen.

Eines ist klar: Wenn sich junge Beschäftigte ernst genommen fühlen und ihren Bedürfnissen entsprechend arbeiten können, dann werden sie zu den besten, engagiertesten Botschafterinnen und Botschaftern für ihren Betrieb. Dann schwärmen sie von ihrer Arbeit und Ausbildung. Dann holen sie auch ihre Freunde und Freundinnen an Bord. Diese vier jungen Menschen haben mir genau das erzählt (die Namen wurden geändert):
Johanna ist ausgebildete Friseurin. Sie hat ihre Lehre erst nach der Matura und einem abgebrochenen Studium begonnen. Obwohl der Job körperlich und psychisch fordernd ist, schätzt sie die Kreativität und den Freiraum, selbstständig zu arbeiten. Sie liebt ihren Beruf, obwohl sie oft kritisch gefragt wird, warum sie das macht – denn sie hat ja Matura. Sie wünscht sich nur ein Gehalt, das ihre Leistung anerkennt.


Peter ist Konditorlehrling. Er hat lang nach dem richtigen Job gesucht und ihn endlich gefunden. Er liebt das Backen, auch in der Freizeit, zeigt stolz Fotos davon und strahlt, wenn er von seinen Torten erzählt. Doch er kämpft mit den Arbeitsbedingungen. Manchmal ist er ganz allein, muss viel Verantwortung übernehmen und sehr lang arbeiten. Er hofft trotzdem, dass das besser wird.


Tatjana ist Zahnarzthelferin in Ausbildung. Sie erzählt strahlend von ihrem Job, in dem sie Menschen helfen kann. Früher in Bewerbungsgesprächen hatte sie oft das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden. Sie war traurig, dass ihr niemand eine Chance gegeben hat. Denn mit einer angeborenen Sehschwäche und Deutsch nicht als Muttersprache haben sie viele Betriebe abgelehnt. Doch jetzt hat sie einen Lehrbetrieb und ein Team gefunden, die sie fördern, aber auch fordern. Es ist eine Ausbildung, in der sie ständig Neues lernt und immer besser werden kann. Sie mag ihren Beruf und ist bereit, hart zu arbeiten. Sie hofft, dass das so bleibt.


Sabine ist Lehrling in einem familiären Hightech-Industriebetrieb. In der Arbeit motiviert sie, dass sie Lob und Kritik bekommt, um sich zu verbessern. Sie versteht sich mit den Kollegen gut, schätzt die Abwechslung. Sie liebt die handwerkliche Tätigkeit. Sie weiß, dass ihre Arbeit sinnvoll ist, da nicht alle Handgriffe von einer computergesteuerten Maschine zu übernehmen sind. Sie wünscht sich, immer besser zu werden.

Geschichten wie diese zeigen, dass sich die jungen Menschen nicht mit fixen Vorstellungen und Kontrolle, sondern mit Respekt, fairer Bezahlung und Mitgestaltung gewinnen lassen. Für die Diskussion rund um den Fachkräftemangel sind daher keine Schnellschüsse gefragt, sondern mehr Offenheit, Mut und Kreativität und die Einbindung junger, auch weiblicher Stimmen in die Entscheidungen von Wirtschaft und Politik.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

DIE AUTORIN

Mag. Lena Marie Glaser (*1984) ist Expertin für neues Arbeiten, Publizistin und Buchautorin aus Wien. Sie hat Jus studiert. Ihr Unternehmen und Future Lab basicallyinnovative.com berät Arbeitgeber, Selbstständige und Politik, neue Wege zu gehen. Im September erscheint „Arbeit auf Augenhöhe“ in dem Verlag Kremayr & Scheriau.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.03.2022)

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