Interview

Stelzer: „Man sollte vorübergehend einen Teil der Steuer herunternehmen“

Landeshauptmann Thomas Stelzer plädiert, die Menschen beim Spritpreis „schnell und spürbar“ zu entlasten. Bei Corona rechnet er im Herbst mit der nächsten Welle und setzt wieder auf Föderalismus.

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Die Presse: Herr Landeshauptmann, die Energie- und Spritpreise gehen durch die Decke und belasten alle. Darf in Österreich ein Liter Treibstoff drei Euro kosten?

Thomas Stelzer: Nein. Das muss ich gerade als Vertreter eines Gott sei Dank sehr arbeitsplatzstarken Industriestandorts und eines Pendlerlandes sagen. Weil bei uns in Oberösterreich Zigtausende Leute darauf angewiesen sind, dass sie jeden Tag mit dem Auto zur Arbeit und von der Arbeit nach Hause kommen. Und wenn dann quasi über Nacht das Benzin das Doppelte oder noch mehr kostet, dann ist das ein eminent soziales und auch ein Arbeitsmarkt-Thema. Darum ist die Frage, wie kann der Arbeitsplatz erreicht werden, bei uns mit dem Sprit-Thema eng verknüpft. Daher kann man da nicht einfach zuschauen, wenn sich die Preise so stark nach oben entwickeln.

Wir haben schon viele Vorschläge gehört. Aber bis auf die Erhöhung der Pendlerpauschale hat die Bundesregierung in ihrem Energiepaket nichts vorgesehen. Kurzfristige Steuersenkungen oder eine Spritpreisdeckelung wie in anderen Ländern sind vorerst nicht geplant. Weil's auch um die Klimaziele geht. Ist das für Sie der richtige Weg?

Ich stelle nicht das Erreichen der Klimaziele infrage. Das muss sein und dazu haben wir uns auch bekannt. Aber ich kann nicht jetzt, in einer Phase, wo vor allem aufgrund eines Krieges die Treibstoffpreise explodieren, einfach sagen, na ja, ist es halt so. Und gleichzeitig wissend, dass ungefähr die Hälfte des Spritpreises die Steuern ausmachen. Darum sage ich: Es kann nicht sein, dass der Staat sagt, toll, da machen wir Kassa und dann überlegen wir, wie wir das, was wir als Steuern eingenommen haben, den Leuten als Beihilfe zurückgeben. Das kann in manchen Fällen funktionieren, in dieser Frage nicht. Wir haben eine Ausnahmesituation. Beim Spritpreis muss etwas schnell Wirksames passieren. Die Menschen müssen es jetzt an der Zapfsäule merken und nicht irgendwann monatelang später durch eine vielleicht erhöhte Beihilfe oder eine andere Vergütung, die sie zurückbekommen. Die Spritpreisentwicklung ist derartig schnell und dynamisch gegangen, dass wir auch gar nicht die Zeit oder Chance haben, dass wir uns ausgeklügelte Berechnungs- oder Beihilfenstaffelungen ausdenken können.

Somit plädieren Sie für eine umgehende Steuersenkung beim Treibstoff?

Ich glaube, dass man vorübergehend einen Teil der Steuer herunternehmen sollte. Welcher Teil das ist, ob man bei der Mehrwertsteuer oder bei der Mineralölsteuer ansetzen kann, das müssen die Experten bewerten. Es muss rechtlich passen. Aber in dieser Phase, wo man rund zwei Euro für den Liter Sprit zahlt, muss aus meiner Sicht spürbar durch den steuerlichen Teil entlastet werden.

Egal, ob man bei der Mehrwertsteuer oder MöSt ansetzt? Wie deutlich sollte die Erleichterung ausfallen?

Bis vor wenigen Wochen hat sich der Spritpreis zwischen einem Euro und 1,20 bewegt. Jetzt bewegt er sich zwischen zwei Euro und 2,20. Das ist eine dermaßen überdimensionale Steigerung. Der Ölpreis hat zwar wieder zu sinken begonnen, doch die Frage ist, ist das jetzt nur ein kurzes Aufflackern oder ist das nachhaltig. Aber man sollte schon relativ rasch in den nächsten Tagen zu einer spürbaren Lösung für die Pendlerinnen und Pendler kommen.

Weil viele in Oberösterreich nicht auf den öffentlichen Verkehr umsteigen können?

Wir investieren gewaltig in den öffentlichen Verkehr, auch mit Unterstützung des Bundes. Wir haben ein Großvorhaben, das jetzt beginnt: Die Regio-Stadtbahn für die Landeshauptstadt und die umgebenden Bezirke. Aber wir werden aufgrund unserer geografischen Struktur trotzdem immer ein Land bleiben, das die Autofahrer hat. Im Ennstal, im Mühlviertel, auch im Innviertel gibt es viele Bereiche – da wird öffentlicher Verkehr nicht überall möglich sein.

Mit Juli droht die CO2-Bepreisung – und somit die nächste Belastung. Einige verlangen bereits, die CO2-Steuer auszusetzen oder zu verschieben. Wie denken Sie darüber?

Wenn die weltpolitische Situation und die Lage in Europa lang so bleiben; wenn wir sehen, dass andere Staaten dadurch sagen, sie warten ein bisschen länger mit dem Ausstieg aus der Atomkraft oder sie nehmen sogar wieder Kohlekraftwerke in Betrieb. Dann glaube ich, müssen auch wir akzeptieren, dass wir mit den wichtigen Vorhaben der klimaschonenden Maßnahmen, die im steuerlichen Bereich unterwegs sind, dass man hier auch vernünftigerweise aussetzt oder ein bisschen später anfängt.

Beim Entlasten: Sollte man nicht auch gleich die kalte Progression in Angriff nehmen?

Das ist ein Dauerthema.

Man könnte es ja endlich lösen?

Die zuletzt beschlossene Steuerreform war ein großer Wurf – mit vielen Entlastungsmomenten. Dass man jetzt schon sagt, wir gehen die kalte Progression an, wäre wahrscheinlich eine Überforderung.

Sie meinen, die kalte Progression jetzt abzuschaffen, wäre überhastet?

Ja, weil ja gerade eine große Steuerreform beschlossen ist. Das ist schon wieder in Vergessenheit geraten, weil sich mittlerweile in kurzer Zeit leider so viel getan hat.

Was halten Sie vom Vorschlag der Grünen, zum Spritsparen auf Autobahnen künftig nur noch mit maximal 100 km/h zu fahren?

Alles, was Vorschriften und Beschränkungen betrifft, hat jetzt unsere Gesellschaft ohnehin genug aushalten müssen, in den vergangenen zwei Jahren, aufgrund der Corona-Situation. Ich glaube, dass man nicht in eine Haltung verfallen sollte, dass man alles und jedes den Leuten vorschreibt. Wir sind schon immer eine freie demokratische Gesellschaft.

Wie sehr stehen sich Klimaziele und Bedürfnisse der Wirtschaft im Weg? Die Grünen in der Bundesregierung wirken auch jetzt in der Krise relativ unnachgiebig und stur.

Wenn man die ehrgeizigen Klimaziele erreichen will – und das wollen wir –, bekennt sich auch die Industrie dazu. Dann muss man aber auch unterstützen, dass die Industriebetriebe dableiben und die Arbeitsplätze gesichert sind. Und wenn wir wollen, dass ein Hochofen mit Strom betrieben wird, dann müssen wir akzeptieren, dass wir zuerst einmal die Leitungen bauen und organisieren müssen, dass die Strommengen vorhanden sind. Dann kann man das machen. Genauso gilt das bei der Umstellung in den Antriebsformen im Automotive-Sektor. Auch da kann man nicht über Nacht sagen, der Verbrennungsmotor ist nichts mehr wert. Noch dazu, wo am Standort Oberösterreich Dieselmotoren gebaut werden, wo der Schadstoffausstoß de facto Richtung null gegangen ist.

Der Russland-Ukraine-Konflikt und der Poker ums Gas betreffen die oberösterreichische Industrie wahrscheinlich stark?

Das betrifft uns sehr stark. Leider. Wir sind ein energieintensiver Standort und bekanntermaßen ist Österreich in großem Ausmaß von den Gaslieferungen von Russland abhängig. Das gilt besonders für den Industriestandort Oberösterreich. Das ist aktuell eine höchst unangenehme Situation. Aber wenn wir wollen, dass die Wirtschaft trotz aller Schwierigkeiten bei uns läuft, dann muss man jetzt noch das Gas haben. Ich begrüße sehr, dass die Bundesregierung bereit ist, die Gasvorräte aufzustocken und das auch zu bezahlen.

Der russische Angriff auf die Ukraine hat Corona von den Titelblättern verdrängt. Haben wir Covid-19 mit dem warmen Frühling bald überstanden oder wird Corona im Herbst wieder ein beherrschendes Thema sein?

Corona bleibt – und es wird eine Krankheit sein, die leider zu unserer Gesellschaft gehört. Es wird mit Sicherheit auch im Herbst und Winter wieder eine Welle geben. Wie gefährlich die Welle wird, das kann uns noch niemand mit Sicherheit sagen. Der springende Punkt ist, wann ist die Grenze erreicht, dass Corona zu einer Krankheit wird oder geworden ist, die unsere Gesellschaft und unser Gesundheitssystem nicht mehr überbeansprucht, sondern mit der wir quasi normal umgehen können. Was aber jetzt schon klar ist: Es wird auf jeden Fall einen Schutz im Sinne einer Auffrischungsimpfung brauchen, um gut durch den Herbst zu kommen, ganz egal, wie sich die Welle gestaltet. Daher verwenden wir jetzt schon sehr viel Kreativität darauf, wie wir viele Leute nach einem warmen, hoffentlich unbeschwerten Sommer, dazu bringen, sich impfen zu lassen. Das ist ein bundesweites Thema. Aber auch wir auf dem Land versuchen, uns dabei bestmöglich vorzubereiten.

Wie stehen Sie zur Impfpflicht, die ja vorerst auf österreichisch „verräumt“ worden ist?

Die Impfpflicht an sich und das Gesetz bleiben ja mit der Blickrichtung auf Herbst aufrecht. Weil man gesagt hat, möglicherweise wird man das Instrument brauchen. Es hat damals niemand von uns eine Freude gehabt zu sagen, das muss jetzt verpflichtend werden. Aber in der Deltawelle, als wir alle die Sorge gehabt haben, es gehen die Intensivstationen und die Krankenhäuser über, was von den Zahlen her auch der Fall war, war die Impfpflicht die Ultima Ratio, damit wir den Schutz erzielen. Jetzt mit der Omikron-Welle stellt sich Corona anders dar. Wir werden uns vorbereiten, indem wir im Herbst möglichst unproblematisch und niederschwellig die Impfangebote machen. Vielleicht wieder mit den niedergelassenen Ärzten, vielleicht auch mit Impfstationen. Und dann müssen die Experten bewerten, ob es ein Reaktivieren der Impfpflicht braucht oder nicht.

Nochmals: Befürworten Sie eine generelle Impfpflicht – ja oder nein?

Ich finde es gut, dass der Rahmen bestehen bleibt – damit wir die Möglichkeit haben, wenn die Not wieder groß sein sollte.

Nach mehr als zwei Jahren Pandemie: Wie viel Föderalismus ist gesund bei der Bewertung von Corona und den immer wieder unterschiedlichen, verordneten Maßnahmen?

Das Unangenehme bei Corona ist, dass wir oft überrascht worden sind und dass es Entwicklungen gegeben hat, wo es einmal hieß, jetzt ist das Bundesland vorn in den Zahlen, dann wieder ein anderes. Auch wir in Oberösterreich waren davon einmal betroffen und es konnte dir niemand am Ende des Tages erklären, warum das so war. Es wird möglicherweise immer so bleiben, dass es regionale Besonderheiten gibt, auf die man dann schnell eingehen und reagieren muss. Ein anderer Aspekt des Föderalismus ist: Es hätte kein flächendeckendes Testen, kein flächendeckendes Impfen gegeben, wenn nicht die Länder, wenn nicht die Regionen das in die Hand genommen hätten. Es ist etwas anderes in einer Großstadt, für die Gesamtbevölkerung etwas auf die Beine zu stellen, damit es funktioniert, als in einem Flächenbundesland, wie zum Beispiel dem unserem. Wo du schauen musst, dass du mit der Impfung oder der Testung jeden erreichst. Und wo aber nicht der öffentliche Verkehr direkt vor jeder Haustür ist. Das war sowieso immer eine föderale Herausforderung.
Thomas Stelzer (55) ist seit April 2017 Landeshauptmann von Oberösterreich und Obmann der ÖVP Oberösterreich. Bei der Landtagswahl vergangenen Herbst wurde seine ÖVP mit 37,61 Prozent stimmenstärkste Partei. Als Landeshauptmann verantwortet Stelzer die großen Agenden Finanzen, Kultur und Personal.
Der gebürtige Linzer studierte Rechtswissenschaften an der Johannes-Kepler-Universität. Thomas Stelzer ist verheiratet und Vater von zwei Kindern.


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