Gericht will Videokonferenz mit Kadyrow

Gericht will Videokonferenz Kadyrow
Kadyrow(c) AP (KAZBEK VAKHAYEV)
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Überraschung im Prozess um den Mord am tschetschenischen Flüchtling Umar Israilow: Tschetscheniens Präsident Ramsan Kadyrow, verdächtig hinter dem Attentat zu stecken, soll per Video aussagen.

WIEN/m.S./APA Es sei „naheliegend“, sagte Staatsanwalt Leopold Bien schon am ersten Prozesstag (Dienstag) im Grauen Haus, dass der Präsident Tschetscheniens, Ramsan Kadyrow, „persönlich den Auftrag erteilt hat“, den in Wien lebenden Flüchtling Umar Israilow (27) zu verschleppen oder zu töten. Dem widerspricht der Hauptangeklagte Otto K. (42): „Kadyrow hat mit der Tragödie vom 13.Jänner 2009 (Tag des Attentats, Anm.) nichts zu tun.“ Der Richter will nun Kadyrow direkt fragen. Und zwar im Rahmen einer Videokonferenz.

„Falls die guten Kontakte vorhanden sind“, meinte der Vorsitzende Friedrich Forsthuber am Freitag zu Rudolf Mayer, dem Anwalt von Otto K., „rege ich eine Videokonferenz mit Präsident Kadyrow an.“ Weiter: „Das würde uns einen unmittelbaren Eindruck verschaffen, der mit einer Einvernahme im Rechtshilfeweg nicht annähernd zu erreichen wäre.“ Zur Erklärung: Eine formelle Einvernahme im Wege internationaler Rechtshilfe wäre – wie „Die Presse“ berichtete – denkbar. In dem Fall würde jenes Protokoll, das die russischen Behörden mit Kadyrow aufnehmen, an das Straflandesgericht Wien geschickt werden.

Anwalt Mayer sicherte zu, er werde versuchen über die Familie seines Mandanten, in Kontakt mit Kadyrow zu treten. Klar ist, dass Otto K. mit Kadyrow befreundet ist. Hier knüpft auch die Anklagebehörde an. Sie meint, dass Kadyrow die Entführung Israilows in Auftrag gegeben und Otto K. mit der Durchführung betraut haben könnte, nachdem dieser ihn wegen angeblich systematischer Folterungen in Tschetschenien beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) angezeigt hatte. Für den Fall, dass die Entführung nicht durchgeführt werden könne – so der Plan laut Anklage – sei die Ermordung des Flüchtlings abgemacht gewesen. Israilow starb, nachdem der mutmaßliche Killer Letscha B. dreimal auf ihn gefeuert hatte. B. gelang die Flucht nach Tschetschenien. Angeklagt sind nun außer Otto K. auch Suleyman D. (36) und Turpal-Ali Y. (31). Beiden wird Beteiligung am Mord vorgeworfen. Alle drei bekennen sich nicht schuldig.

Am Freitag wurde die Einvernahme von Turpal-Ali Y. abgeschlossen. „Ich wurde reingelegt“, sagte Y. Man habe ihn am 13.Jänner gebeten nach Wien zu fahren: „Man hat mir nicht erklärt, dass dort irgendeine Auseinandersetzung sein wird.“ Er habe Israilow nicht gekannt, keine Waffe getragen, nicht geschossen und sei völlig überrascht gewesen, als er in der Hand von Letscha B. eine Pistole erblickte, nachdem dieser offenbar auf Israilow gefeuert habe. Y. weiter: „Ich habe gesehen, dass Letscha ein Psychopath oder ein Trottel ist. Deshalb habe ich beschlossen, nicht mit ihm zu sprechen. Man hätte mich auch erschießen können.“

 

Kritik an Beweissicherung

Einige Verwunderung gab es, als die DNA-Expertin Christina Stein ihr Gutachten erstattete. Sie habe am Tatort sichergestellte bzw. verdächtige Gegenstände von der Polizei nicht erhalten, sondern nur sogenannte Abriebprofile, die Beamte von den Beweisstücken angefertigt hatten. Weshalb Stein nicht ein aufgefundenes zusammengeknülltes Plastiksackerl ausgehändigt bekam, mit dem Israilow möglicherweise geknebelt werden sollte, um dieses auf genetische Fingerabdrücke zu untersuchen, erschien dem Richter unverständlich: „Ich rege an, dass die Polizei Beweismittel zukünftig für eine DNA-Analyse direkt übergibt, sofern es sich dabei nicht gerade um einen Lkw handelt.“ Der Prozess wird am Montag fortgesetzt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.11.2010)


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