Mindeststandards

Weniger Wegwerfen, mehr Recyclen

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Die EU-Kommission will Mindeststandards für Energieverbrauch, Haltbarkeit oder Recyclingfähigkeit. Ein Produktpass soll Konsumenten die Kaufentscheidung erleichtern.

Die durchschnittliche Lebensdauer eines Smartphones beträgt laut deutschem Verbraucherschutz 2,5 Jahre – und das ist eine eher großzügige Schätzung. Viele Produkte auf dem Markt sind schon nach kürzerer Zeitspanne reif für den Müll. Die gute Nachricht: Im Rahmen des Prestigeprojekts „Grüner Deal“ will Brüssel diesen teuren und für die Umwelt fatalen Kreislauf aus Neuanschaffung und Wegwerfen mit verschiedenen Gesetzesvorschlägen durchbrechen. Am gestrigen Mittwoch stellte die EU-Kommission ein ganzes Paket an Maßnahmen vor, das darauf abzielt, sämtliche physischen Produkte mit Ausnahme von Nahrungs- und Arzneimitteln auf dem EU-Markt länger haltbar, umweltfreundlicher und wiederverwertbar zu machen. Mitgliedstaaten und EU-Parlament müssen den Maßnahmen noch zustimmen. „Die Presse“ fasst zusammen, was geplant ist.

Welche Maßnahmen schlägt die EU-Kommission konkret vor? 

Ob Laptops, Möbel oder Kleidung: Langlebigere Produkte, die repariert, wiederverwertet und wiederverwendet werden können, sollen in der EU die Norm werden. So jedenfalls will es die EU-Kommission. Konkret soll die Brüsseler Behörde das Recht erhalten, Mindeststandards etwa mit Blick auf Haltbarkeit, Energieverbrauch oder Reparaturanforderungen für fast alle Waren im EU-Binnenmarkt festlegen zu können. Die Initiative soll sich nach Brüsseler Angaben positiv auf die Umwelt auswirken, weil Verschmutzung und Ressourcenverbrauch verringert werden. Ein Blick auf die aktuellen Zahlen zeigt tatsächlich akuten Handlungsbedarf: So werden etwa nur 40 Prozent des Elektroschrotts in der EU recycelt, in Österreich ist es immerhin etwa die Hälfte.

In einem ersten Schritt will die Kommission den Fokus auf Produktkategorien wie Möbel, Matratzen, Reifen, Putzmittel, Farben, Schmierstoffe sowie Zwischenprodukte wie Eisen, Stahl und Aluminium legen, da diese sich „stark auf die Umwelt auswirken und großes Verbesserungspotenzial haben“, wie die Behörde darlegt.
Eine eigene EU-Strategie gibt es für Textilien, deren Verbrauch nach Nahrungsmitteln, Wohnraum und Mobilität den vierthöchsten Einfluss auf Umwelt und Klimawandel hat. Elf Kilogramm an Textilien werden in Europa jährlich pro Person weggeworfen, weltweit wird jede Sekunde eine Lkw-Ladung Textilien auf Deponien abgelagert oder verbrannt. Nachhaltigkeit soll deshalb auch in diesem Sektor zum Standard werden. Bis zum Jahr 2030 will die EU etwa für alle im Binnenmarkt erwerbbaren Textilprodukte Mindeststandards für die Verwendung recycelter Fasern festlegen und die Produkte durch neue Qualitätsanforderungen langlebiger machen. Unter dem Motto „fast fashion is out of fashion“ soll der Konsument dazu angeregt werden, hochwertigen Materialien den Vorzug gegenüber der Ware billiger Modeketten zu geben. Das soll sich langfristig auch positiv auf die eigene Geldbörse auswirken.

Was heißt all das für den Verbraucher –und für die Wirtschaft?

Um dem Verbraucher einen schnellen und einfachen Überblick zu bieten, ist ein eigener Pass („Digital Product Passport“) geplant, der Bestandteile, Recyclingmöglichkeiten und andere wichtige Informationen eines Produkts umfasst. So soll es dem Konsumenten leichter gemacht werden, sich bewusst für umweltfreundliche Produkte zu entscheiden. Die Kommission hofft zudem auf die Schaffung von Arbeitsplätzen in den Bereichen Wartung, Wiederverwendung, Wiederaufbereitung, Reparatur und Verkauf von Gebrauchtwaren. „Schätzungen zufolge schaffen diese Tätigkeiten 30- bis 200-mal mehr Arbeitsplätze als die Deponierung und Verbrennung“, heißt es in Brüssel.
Die Unternehmen selbst dürften sich bereits in Stellung bringen, die Kommissionsvorschläge durch gezielte Lobbyarbeit aufzuweichen – und so allzu strenger Regulierung zu entgehen.

Welche Folgen für die Umwelt sind von den Vorschlägen zu erwarten?

Die Kommission rechnet vor, dass die bereits bestehenden Ökodesign-Vorschriften – also Regeln für energieverbrauchende Produkte – zu einer deutlichen Verringerung des EU-weiten Energieverbrauchs geführt haben. Allein im Jahr 2021 seien so Energiekosten in Höhe von 120 Milliarden Euro eingespart worden. Laut der Brüsseler Behörde könnten bis 2030 durch die neuen Regeln zudem 132 Millionen Tonnen an Primärenergie reduziert werden, „was etwa 150 Milliarden Kubikmetern Erdgas und damit fast der Gesamtheit der russischen Erdgasimporte der EU entspricht“.

Wie fallen die bisherigen Reaktionen aus?

Im Europaparlament, das ja mit den Mitgliedstaaten einen Kompromiss zu den Kommissionsvorschlägen finden muss, ist die Meinung geteilt: „Wir fordern schon lang, dass nachhaltige und sichere Produkte auf dem EU-Binnenmarkt die Norm sein müssen und für die gesamte Bevölkerung zugänglich und leistbar sein sollten“, sagt etwa der SPÖ-Abgeordnete Günther Sidl. Weniger begeistert ist man dem Vernehmen nach in der wirtschaftsfreundlicheren EVP-Fraktion. Überschießende bürokratische Auflagen seien ein Feind der Innovation, heißt es dort sinngemäß.

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