Von Freitag bis Samstag dauert der Gipfel in Lissabon: Das Nordatlantische Verteidigungsbündnis stellt die Weichen für seine eigene Zukunft - und mit Sicherheit auch für jene des Bürgerkriegslandes Afghanistan.
Lissabon/Wien/WG. Natürlich war das Essen am wichtigsten: Beim Gipfel der 28 Staats- und Regierungschefs der Nato-Staaten, der am Freitag in Lissabon begann und bis Samstag andauert, stand fest, dass die großen Entscheidungen beim abendlichen Diner am Freitag im Messezentrum Feira Internacional de Lisboa an der Bucht von Lissabon gefällt würden. Dabei tafelten Staatschefs, Außen- und Verteidigungsminister.
Kern der Tagung ist der Beschluss einer neuen Nato-Strategie. Die Nato will am Prinzip der gemeinsamen Verteidigung des Gebietes der Mitglieder festhalten, wie es in den über 60 Jahren ihres Bestehens ihre Raison d'être war. Allerdings soll die Strategie mangels „klassischer“ Gegner der seit dem Terror von 2001 geänderten diffusen Bedrohungslage entsprechen und den Kampf gegen Terror, Piraten und Cyber-Kriminelle beinhalten.
Das Verteidigungsbündnis will ihre Strukturen straffen und sich für Aktionen im globalen Maßstab, und in Kooperation mit anderen Organisationen, rüsten – der Enthusiasmus dazu dürfte sich aber wegen der Kosten und der Erfahrungen aus dem Afghanistan-Krieg in Grenzen halten.
Abzugsbeginn Sommer 2011
In der Tat dominiert den Gipfel der Abzug der rund 130.000 Soldaten der Nato-Truppe „Isaf“ und ihrer Partner wie Australien. Nato-Chef Anders Føgh Rasmussen, ein Däne, und US-Außenministerin Hillary Clinton sagten am Freitag, dass dessen Beginn bevorstehe und er bis 2014/15 beendet sein könne. Die Verantwortung für Afghanistans Sicherheit werde ab Sommer 2011 langsam an die Regierung von Präsident Hamid Karzai abgetreten, so Rasmussen.
Allerdings werde man „so lange wie nötig“ dort bleiben; immerhin gehe der Aufbau des afghanischen Militärs und der Polizei gut voran, und man habe zuletzt große Erfolge gegen die Taliban gehabt. Karzai kommt am Samstag nach Lissabon und trifft US-Präsident Barack Obama; der betonte im Vorfeld, man wolle auch gemäßigte Taliban in den Wiederaufbau des Landes einbeziehen.
Die USA werden zudem bald erstmals schwere „Abrams“-Panzer nach Afghanistan bringen: Eine Kompanie mit 14 Stück soll in der umkämpften Südprovinz Helmand der Infanterie den Rücken stärken; wegen des schwierigen Geländes werden in Afghanistan neben Infanterie, Artillerie und Luftwaffe meist nur leichte Kampffahrzeuge eingesetzt.
Beim Thema Nato-Raketenabwehr zeichnet sich ein Grundsatzbeschluss zu deren Bau ab, in den Russland inkludiert wird. Für Moskau ist der Schild bisher eine Bedrohung, Präsident Dmitrij Medwedjew kommt zum Gipfel. Die Türkei, die Teile des Systems beherbergen dürfte, deutete Freitag an, dem Bau zuzustimmen; es müsse aber unerwähnt bleiben, gegen Raketen welcher Staaten (im Grunde ist es der Iran) der Schild sei. Rasmussen sagte, es sei unnötig, Namen zu nennen, da es gut 30 Staaten gebe, die mit Raketen jetzt oder künftig Nato-Gebiet bedrohen könnten.
Türkei gibt sich bei Raketenschild weich
Der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu sagte zudem, Ankara bestehe nicht, wie zuletzt ventiliert, auf exklusiver Befehlsgewalt für in der Türkei stationierte Raketenabwehrsysteme; man wolle lediglich in der Befehlskette „vertreten“ sein.
Beim Thema nukleare Abrüstung bahnt sich ein Kompromiss zwischen dem Kernwaffengegner Deutschland und der Atommacht Frankreich an. Diplomaten aus Paris und Berlin sowie US-Präsident Obama sagten, man werde für atomare Abrüstung sein, aber festhalten, dass man Atomwaffen besitzen wolle, solange sie anderswo existierten.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.11.2010)