UN-Bericht

Fast jede zweite Schwangerschaft unbeabsichtigt

Die Versorgung mit Verhütungsmitteln verschlechtert sich in humanitären Krisen.
Die Versorgung mit Verhütungsmitteln verschlechtert sich in humanitären Krisen.(c) REUTERS (SOE ZEYA TUN)
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Sexuelle Gewalt und ein mangelnder Zugang zu Verhütungsmitteln etwa führen zu unbeabsichtigten Schwangerschaften - wovon mehr als 60 Prozent abgetrieben werden.

Fast die Hälfte aller Schwangerschaften weltweit ist einem neuen UN-Bericht zufolge unbeabsichtigt. Die Zahl der ungeplanten Schwangerschaften liegt jährlich bei 121 Millionen (täglich damit bei 331.000), was einem Anteil von 48 Prozent aller Schwangerschaften entspricht. Davon würden dem UN-Bevölkerungsfonds (UNFPA) zufolge 60 Prozent abgetrieben - die Hälfte davon unter unsicheren Bedingungen.

Als Hauptursachen für unbeabsichtigte Schwangerschaften nennt der Bericht die Benachteiligung von Frauen, Armut, sexuelle Gewalt sowie den mangelnden Zugang zu Verhütungsmitteln. 257 Millionen Mädchen und Frauen hätten einen ungedeckten Bedarf an Verhütungsmitteln, obwohl sie nicht schwanger werden wollen, liest es sich in dem Bericht weiter. Eine unbeabsichtigte oder ungeplante Schwangerschaft kann gewollt oder ungewollt sein. Dabei handelt es sich um eine Schwangerschaft, die bei einer Frau eintritt, die keine (weiteren) Kinder haben wollte oder die zum „falschen Zeitpunkt“ eintritt, also früher als gewünscht. Die Definition ist unabhängig vom Ausgang der Schwangerschaft, heißt es im Weltbevölkerungsbericht 2022.

Krisen verschlimmern die Situation

Die Versorgung mit Verhütungsmitteln verschlechtere sich außerdem in humanitären Krisen, weshalb auch diese als Treiber für ungeplante Schwangerschaften fungieren. Die Studienautorinnen und -autoren warnten ausdrücklich, dass Konflikte wie der Ukraine-Krieg die Zahl ungewollter Schwangerschaften in „schwindelerregende“ Höhen treibe, da sexuelle Gewalt zunehme und der Zugang zu Verhütungsmitteln eingeschränkt sei. UNFPA-Direktorin Natalia Kanem berichtete bei der Vorstellung des Berichts in Paris von Fällen schwangerer Frauen in der Ukraine, „die wussten, dass sie ernährungstechnisch nicht in der Lage sein würden, ihre Schwangerschaft durchzuhalten“. Es gebe auch Beispiele von Kriminellen, die „die Tragödie des Krieges als eine Gelegenheit sehen, Frauen und Mädchen ins Visier zu nehmen“.

„Sexuelle und reproduktive Rechte sind grundlegende Menschenrechte, die von Regierungen und Gesetzen geschützt, geachtet und zugänglich gemacht werden müssen“, sagte Petra Bayr, Mitglied der überparteilichen Österreichischen Parlamentarischen Gruppe für Sexuelle und Reproduktive Gesundheit und Rechte (#paarlandsex), bei einer Pressekonferenz zum Thema am Mittwoch in Wien.

Unsichere Abtreibung als Todesursache

Studien zufolge erleben mehr als 20 Prozent der vertriebenen Frauen weltweit sexuelle Gewalt. Kanem warnte, dass die Zahlen wegen des mit der Gewalt verbundenen sozialen Stigmas vermutlich zu niedrig angesetzt sind. Die UNFPA-Direktorin schätzte, dass allein der Konflikt in Afghanistan bis 2025 voraussichtlich zu 4,8 Millionen nicht beabsichtigen Schwangerschaften führen werde. Auch die Corona-Krise führte UNFPA zufolge allein im ersten Jahr der Pandemie zu bis zu 1,4 Millionen ungeplanten Schwangerschaften, was vor allem auf den nur eingeschränkten Zugang zu Verhütungsmitteln zurückzuführen ist. 

Jedes Jahr müssten demnach sieben Millionen Frauen nach unsicheren Abtreibungen ins Krankenhaus eingeliefert werden. In einigen Fällen führen diese sogar zum Tod der Mütter, sie sind somit eine der Hauptursachen für Müttersterblichkeit. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Guttmacher-Institut gehen davon aus, dass sich die Zahl der unsicheren Schwangerschaftsabbrüche um 72 Prozent verringern ließe, wenn Frauen in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen ausreichend mit Verhütungsmitteln versorgt würden und Schwangerschaftsvorsorge und Neugeborenenversorgung in dem von der WHO empfohlenen Umfang zur Verfügung stünden.

Verhütungsmittel allein nicht ausreichend

Um die Lage zu verbessern, ist Empfängnisverhütung unverzichtbar, allein aber nicht ausreichend. Es bedarf Anstrengungen, die mit fest verankerten Stigmatisierungen unbeabsichtiger Schwangerschaften aufräumen. Gesellschaftliche Normen sowie Gesetze müssen verändert werden, um Frauen selbstbestimmte Entscheidungen erst möglich zu machen, heißt es in dem Bericht.

„Jeder Frau weltweit steht die Selbstbestimmung über ihren eigenen Körper, unabhängig von Alter oder Herkunft, zu. Dafür braucht es die Gleichstellung der Geschlechter in jeglicher Hinsicht, umfassenden Schutz vor Gewalt aller Art und die nötige gesundheitliche Versorgung sowie Absicherung", sagt Eva-Maria Holzleitner, Mitglied von #paarlandsex und SPÖ-Sprecherin für Frauen, Kinder und Jugend. Für Österreich forderten die Sprecherinnen in Wien vor allem den flächendeckenden und kostenfreien Zugang zu Verhütungsmitteln. Zudem sollte die sexuelle Bildung von Kindern und Jugendlichen forciert werden.

(apa/evdin)

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