Interview

OMV-Chef Alfred Stern: "Wir haben das Russland-Risiko unterschätzt"

Die Investitionen der OMV in Russland seien „ein Fehler“ gewesen, sagt der neue Chef, Alfred Stern. Überstürzt aussteigen will er dennoch nicht. Auch Europa brauche russisches Gas noch länger.

Die Presse: Russische Gaslieferungen ins Ausland müssen nach den Worten von Präsident Wladimir Putin ab Freitag in Rubel gezahlt werden. Ein entsprechendes Dekret wurde am Donnerstag unterzeichnet. Bleiben Sie dabei, weiter nur Euro zu überweisen?

Alfred Stern: Wir haben ja keinen Vertrag mit der russischen Regierung, sondern mit Gazprom. Wir warten auf Informationen von Gazprom. Im Moment lautet unser Vertrag auf Euro. Es gibt keine Grundlage, anders zu bezahlen.

Auf politischer Ebene ist der Widerstand fundamentaler. Einige EU-Länder fordern ein Gas-Embargo, um Putins Krieg nicht zu finanzieren. Ist das heuer überhaupt machbar?

Nein, ein Verzicht auf russisches Gas ist unmöglich – außer wir sind bereit, mit massiven Konsequenzen zu leben. Einige Länder könnten das. Für Österreich ist es heuer nicht umsetzbar. Wir sind in der schwierigen Lage, dass wir nicht einfach aus russischem Gas aussteigen können. Als Binnenland haben wir keinen Zugang zu Flüssiggas. Jede Diversifizierung hieße mehr Investitionen in teure Infrastruktur, um Zugang zu teurerem Gas zu bekommen. Der Ausstieg aus russischem Gas hat seinen Preis. Das muss uns klar sein.

Was hieße ein Lieferstopp konkret für die OMV und Borealis?

Der Gashandel ist für uns ein sehr kleines Geschäft, das weniger als ein Prozent zum operativen Ergebnis beiträgt. Da geht es eher um die Sicherung der Versorgung. Bei unseren Anlagen wären wir betroffen. Wobei wir in Schwechat heute schon kein russisches Erdöl mehr einsetzen.

Die hohe Abhängigkeit von Gazprom wurde zuletzt Ihrem Vorgänger als OMV-Chef zur Last gelegt. Sind da Fehler passiert?

Da muss man Gaslieferungen und Investitionen trennen. Die Lieferverträge haben wir seit 1968. Wir waren die Ersten, die russisches Gas nach Europa gebracht haben. Da kann man natürlich sagen: Die OMV ist schuld an allem. Aber das sehe ich nicht so. Wir haben in Europa leider keine großen Öl- und Gas-Vorkommen, und der Energiebedarf steigt ständig. Russland hat die zweitgrößten Gasreserven, ist nah an Europa und über Pipelines gut angebunden. Die OMV hat sich um Alternativen bemüht (Stichwort: Nabucco). Aber letztlich ist russisches Gas das billigste, das Europa bekommen kann. Und davon haben Österreich und Europa lange profitiert.

Und die Investitionen ins Land?

Man muss im Rückspiegel sagen, dass wir das Länderrisiko unterschätzt haben. Die Milliarden, die nach Russland geflossen sind, waren eine Fehlinvestition. Da haben wir das Risiko falsch eingeschätzt.

Sie wollen künftig nicht weiter in Russland investieren, aber was passiert mit der bestehenden Produktion in Juschno-Russkoje?

Russland wird keine Kernregion mehr sein, und unsere 24,99 Prozent an diesem Gasfeld stehen auf dem Prüfstand. Aber die Rechtslage ist sehr komplex, was unseren Handlungsspielraum einschränkt. Wenn wir das jetzt unter Wert „zurückschenken“, hilft das keinem.

Ist die breite Abkehr des Westens von Russland langfristig schlau?

Wir sind alle schockiert über das, was vorgefallen ist. Aber im Endeffekt ist es schon wichtig, wie man Europas Vorteil sichern kann.

Sie haben jüngst im Nahen Osten bei potenziellen Flüssiggas-Lieferanten vorgefühlt. Auch das sind nicht unbedingt lupenreine Demokratien. Gibt es da für Sie eine rote Linie, oder gehören politisch heikle Regime einfach dazu?

Ich fürchte, wenn wir uns da nur auf strikte humanitäre Standards zurückziehen würden, wäre unser Leben stark beeinträchtigt. Wir stecken manchmal den Kopf in den Sand. Es ist ja auch schwierig, ein Mobiltelefon in die Hand zu nehmen, wenn man die Herkunft aller Teile kennt.

Der Ukraine-Krieg beschert auch fossilen Energieträgern ein Comeback. Bremst der Konflikt die Energiewende längerfristig?

Die Krise zeigt eines: Die Energiewende muss man diszipliniert managen. Wenn Energie zu teuer oder nicht verfügbar ist, kippt das sehr schnell. Genau das reflektieren wir auch in der neuen OMV-Strategie. Wir können uns nicht über Nacht verändern, es muss langsam passieren.

Mussten Sie angesichts des Kriegs von Ihren ursprünglichen Strategieplänen abrücken?

Taktische Anpassungen gibt es immer. Wir planen den Ausstieg aus Öl und Gas als Energieträger bis 2050. Das geht jetzt anfangs etwas langsamer, dann immer schneller bis 2050. In Russland wird die Produktion bis 2030 um 60 Prozent fallen. Die neue Strategie hilft uns, nachhaltiger und unabhängiger von fossilen Rohstoffen zu werden.

Den fossilen Ausstieg bis 2050 kritisieren Umweltschützer als halbherzig. Verstehen Sie das?

Ja, ich würde auch lieber schneller reduzieren. Aber wir als Industrieunternehmen müssen umsetzbare Lösungen bringen, die noch dazu den Lebensstandard der Menschen erhalten. Wir haben zu lang keinen Fortschritt gemacht, jetzt müssen wir tun, was wir können, und wenigstens in die richtige Richtung losgehen. Die Hoffnung, die Energiewende mit Verzicht zu stemmen, ist eine Illusion. Das passt mit uns Menschen nicht zusammen. Aber wir können etwa für die AUA nachhaltigen Treibstoff für Flugzeuge erzeugen. Dann können wir immer noch fliegen, stoßen dabei aber um 80 Prozent weniger CO2 aus.

Wie gehen Sie mit unterschiedliche Erwartungen von Investoren und Umweltschützern um?

Aktiengesellschaften im 21. Jahrhundert haben andere Anforderungen als vor 50 Jahren. Die Religion des „shareholder value“ ist überholt. Wir brauchen Partnerschaften für mehr Nachhaltigkeit. Vor allem die Partnerschaft zwischen Politik, Zivilgesellschaft und Unternehmen muss ausgebaut werden. Es bringt nichts, wenn einer immer den Polizisten spielt und sich alle gegenseitig verteufeln. Wir haben es alle verstanden. Das Problem ist: Wie kommen wir da hin, wie finanzieren wir das, wie erfinden wir die notwendige Technologie? Natürlich kann ich morgen raus aus Öl und Gas. Wissen Sie, was dann passiert? Dann nimmt es morgen ein Privatinvestor und macht einfach weiter.

Grünere Kunststoffe sollen der OMV großes Wachstum bringen. Die Investitionen fließen aber vorerst in die fossile Plastikproduktion für Asien.

Da muss ich widersprechen. Wir wollen bis 2030 jedes Jahr 3,5 Milliarden Euro investieren. 40 Prozent davon werden in nachhaltige Projekte gehen. Beim Kunststoff haben wir als Gesellschaft noch Diskussionsbedarf. Die Weltbevölkerung wächst, sie wird reicher und will sich mehr leisten. Und Kunststoffe sind die effizientesten Materialien, um das zu ermöglichen. Es stimmt, dass wir vorerst nur in Europa Recycling-Plastik verkaufen werden. Aber bis 2030 wollen wir das auch nach Asien und in die USA weitertragen.

All das funktioniert nur dank der richtigen Regularien. Was passiert, wenn der grüne Enthusiasmus in der Politik schwindet?

Es kann Verzögerungen geben, aber die Transformation muss kommen. Die Menschheit verbraucht jedes Jahr über hundert Milliarden Tonnen an Rohstoffen. Weniger als zehn Prozent werden wiederverwertet. Wir stoßen damit an die Grenzen des Machbaren.

Was bedeutet der Strategiewechsel im Unternehmen? Viele Jobs, die es heute gibt, werden nicht mehr lang da sein.

Die Leute in der OMV sind kreativ und unternehmerisch. Es ist unmöglich, einen großen Teil der Leute gehen zu lassen und zu ersetzen. Denn es gibt „die Richtigen“ da draußen nicht. Wir werden Potenziale in der Firma aktivieren, die uns selbst noch überraschen werden.

Werden Sie am Ende der Transformation noch OMV-Chef sein?

Ein Ende gibt es nicht. Jedes Unternehmen muss heute dauerhafte Wandlungsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit lernen. Wenn das meine Hinterlassenschaft hier sein könnte, dann wäre ich schon sehr zufrieden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.04.2022)

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