Kinder sind ein teurer Spaß: Das 200.000-Euro-Baby

Kinder sind teurer Spass
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Kinder sind nicht nur für ihre Eltern, sondern auch für die Steuerzahler teuer. Das heftig diskutierte Sparpaket wird daran kaum etwas ändern. Österreichs üppige Familienförderung am Beispiel des kleinen Lukas.

Wann beginnt das Leben? Mit der Zeugung? Mit der Geburt? Irgendwann dazwischen? Die Frage ist alt und schwer zu beantworten. Im Streit zwischen Biologen, Philosophen und Theologen wird es vielleicht nie eine Einigung geben. Aber man kann das Problem auch pragmatisch angehen: Im Sozialstaat Österreich beginnt das Leben mit der ersten Transferleistung – und die erfolgt lange vor der Geburt.

Zwischen der achten und zwölften Schwangerschaftswoche muss jede werdende Mutter die erste von drei Ultraschalluntersuchungen vornehmen lassen. Der Embryo in ihrem Bauch misst zu diesem Zeitpunkt erst ein paar Zentimeter. Aber er ist bereits ein Budgetposten: Elf Millionen Euro kosten die Untersuchungen im Rahmen des Mutter-Kind-Passes pro Jahr. Umgelegt auf 76.000Neugeborene sind das rund 145Euro pro Baby.

Mit dieser vergleichsweise bescheidenen Summe fällt der Startschuss zu sehr vielen Jahren auf der Gehaltsliste des österreichischen Sozialsystems. Bis aus dem winzigen Embryo eines Tages (hoffentlich) ein Steuerzahler geworden ist, hat der Staat schon zigtausende Euro investiert.

Milliarden für die Familien. Die wütenden Proteste gegen geplante Sparmaßnahmen verstellen den Blick auf die Realität: Auch nach der Reform wird die österreichische Familienförderung zu den großzügigsten der Welt zählen. In kaum einem anderen Land sind Kinder dem Staat so viel Geld wert. 8,5 Milliarden Euro investieren Bund und Länder derzeit pro Jahr in das finanzielle Wohlergehen von Familien.

Dazu kommen noch steuerliche Vorteile im Ausmaß mehrerer hundert Millionen Euro. Dividiert man diese Summe durch die Zahl der Kinder (als Kind gilt, wer Anspruch auf Familienbeihilfe hat; derzeit sind das 1,8Millionen), ergibt das mehr als 4700Euro pro Sprössling und Jahr.

Aber der Durchschnitt ist keine sehr anschauliche Größe. Anhand eines Einzelfalls lässt sich besser illustrieren, wofür so viel Geld ausgegeben wird. Das (fiktive) Beispiel: Baby Lukas, zweites Kind einer gut situierten Mittelstandsfamilie. Vater und Mutter verdienen gemeinsam 4.900Euro netto.

Lukas wird am 17.Juli 2010 geboren. Als er den ersten Schrei macht, ist seine Mutter Valerie bereits seit acht Wochen im Mutterschutz. Weitere acht Wochen dauert diese Frist, in der Valerie ihr bisheriges Nettogehalt ausbezahlt wird. Für insgesamt 16Wochen sind das in ihrem Fall rund 8.800Euro.

Mit der Geburt wird auch die Familienbeihilfe schlagend. Weil Lukas bereits ein Schwesterchen hat, gibt es für ihn 118,20Euro pro Monat. Ausbezahlt wird außerdem der Kinderabsetzbetrag von 58,40Euro monatlich. Zusätzlich können seine Eltern für ihre beiden Kinder einen Steuerfreibetrag von je 264Euro geltend machen.

Der kleine Lukas ist gottlob kerngesund. Trotzdem muss ein Kind gelegentlich zum Arzt. Das kostet nichts, denn jeder Sprössling ist gratis bei seinen Eltern mitversichert – und zwar im Extremfall bis zum 27.Lebensjahr.

Nach Ende des Mutterschutzes entscheiden sich seine Eltern für die einkommensabhängige Variante des Kindergeldes. Gemeinsam können sie vierzehn Monate bei ihrem Sohn bleiben und bekommen 80Prozent des Gehalts. Bei Valerie sind das fast 1800 Euro, bei ihrem Mann 2000Euro.

Mit dem Ende dieser Karenzzeit ist Lukas sechzehn Monate alt. Er hat gehen gelernt, schon die meisten Milchzähne bekommen, aber noch keine Vorstellung von der Bedeutung materiellen Wohlstands. Dennoch hat er bereits ein beeindruckendes Finanzkarussell in Schwung gebracht.

Ohne Berücksichtigung der Gratisversicherung und der Steuerabsetzposten kommen seine Eltern dank ihm auf staatliche Zuwendungen von rund 37.500Euro. Wie übertrieben die Proteste gegen das Familiensparpaket sind, beweist der Taschenrechner: Sollte alles so kommen wie geplant, würden Lukas und seine Eltern in diesen sechzehn Monaten gerade einmal 118,20Euro verlieren.

Beide Eltern gehen wieder arbeiten und müssen sich nach einer Betreuungsmöglichkeit für ihren Sohn umsehen. Lukas kommt zur Tagesmutter. Das kostet Geld, aber der Staat beteiligt sich auch an dieser Ausgabe. Bis zu 2.300Euro pro Jahr können steuerlich geltend gemacht werden. Mit Lukas' drittem Geburtstag erhöht sich die Familienbeihilfe auf 125,50Euro. Er geht jetzt in den Kindergarten und kann das, weil er in Wien wohnt, völlig gratis tun. Bis Herbst 2009 hätten seine Eltern dafür noch 226Euro bezahlen müssen.

Ziele nicht erreicht. Schwer wie Blei drücken diese Wohltaten auf das Budget. Der Familienlastenausgleichsfonds (Flaf) ist seit Jahren defizitär. Derzeit liegt der Schuldenstand bei 3,8Milliarden Euro, heuer werden weitere 900Millionen dazukommen. Trotz dieses enormen Aufwands seien beide Ziele der Familienförderung nicht erreicht worden, sagt der Wiener Arbeiterkammer-Direktor Werner Muhm: „Die Geburtenrate ist nicht gestiegen, und die sozial schwierige Situation vieler Familien wurde nicht verbessert.“

Muhm plädiert für weniger Geld- und mehr Sachleistungen. Der Aufschrei gegen die Sparpläne habe ihn überrascht: „Wenn es eine ausgabenseitige Konsolidierung sein soll, ist ja klar, dass man bei den Transfers reinschneiden muss.“ Ganz ähnlich urteilt der Sozialwissenschaftler Bernd Marin. Er hält zwar die Pensionen für das größte Problem des Staatshaushalts. Aber auch die exzessive Familienförderung stoße langsam an Grenzen. „Das ist eine Infantilisierung junger Erwachsener. Bis 26 soll die Familienbeihilfe ausbezahlt werden, und mit 40warten die Leute dann schon auf die Frühpension.“

Teure Sonderschule. Lukas ist von beidem noch sehr weit entfernt. Im Herbst 2016 wird er sechs Jahre alt sein und in die erste Klasse Volksschule gehen. Für die Allgemeinheit ist auch das kein billiges Vergnügen.

Die Statistik Austria hat ausgerechnet, was der durchschnittliche Schüler pro Kopf und Jahr kostet. In der Volksschule sind es 5660Euro, in der Hauptschule 7962Euro, im Gymnasium 7203Euro. Am teuersten ist übrigens die Sonderschule, wo pro Kind 26.117Euro fällig werden.

Nehmen wir an, der kleine Lukas ist ein kluges, fleißiges Kind, das niemals sitzenbleibt und in zwölf Jahren bis zur Matura kommt. Dennoch wird seine Schulausbildung bis dahin – auf Basis der aktuellen Gehälter und Sachaufwendungen – die Kleinigkeit von 80.264Euro gekostet haben. Falls Lukas dann auch noch studiert, kommen pro Jahr weitere 13.057Euro dazu.

Aus heutiger Sicht wird der junge Mann bis zu seinem 24.Geburtstag Anspruch auf Familienbeihilfe haben. Das summiert sich auf rund 40.000 Euro. Alle seine Ansprüche zusammengenommen, landet man schnell jenseits von 200.000Euro – und zwar selbst dann, wenn alle geplanten Sparmaßnahmen in Kraft treten.

Die Reform sei ein „gesellschaftspolitisches Signal gegen die Familien“, findet der Katholische Familienverband. So kann man es natürlich auch sehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.11.2010)

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