Caspar David Friedrich hat die Kreidefelsen gemalt. Sehr viele Touristen wollen sie sehen.
Ostsee

Rügens Bild von einer Küste

Mit seinen Kreidefelsen und alten Buchenwäldern zählt der Nationalpark Jasmund auf Rügen zu Deutschlands wertvollsten, aber auch beanspruchtesten Naturlandschaften.

Am Rand des alten Buchenwaldes ragt ein Mammutbaum in Rügens Himmel. 1886 kam er als Bäumchen aus den USA auf Deutschlands größte Insel. Die galt zu dieser Zeit bereits als Ziel der Sommerfrischler und Künstler. Einer von denen, die das lebende Fossil am damaligen Gasthof Stubbenkammer pflanzten, war Reinhold Begas. Der Bildhauer schuf viele Monumente aus Marmor oder Bronze. Einige der Statuen und Büsten hat der Baum schon überlebt. Das Denkmal, das er Rügen damit setzte, könnte Tausende Jahre überdauern.

Die Buchenbestände sind grenzübergreifendes Unesco-Weltnaturerbe.
Die Buchenbestände sind grenzübergreifendes Unesco-Weltnaturerbe.TMV

„Mit seinen 140 Jahren ist er noch immer jugendlich“, scherzt Professor Hans Dieter Knapp über den Mammutbaum. Gerade einmal halb so alt ist der Gelehrte selbst. Mit dem weißen Bart und weißer Mähne, Hut und Lodenmantel sieht er wie ein guter Geist des Waldes aus. Und das ist er tatsächlich. Bereits als Schüler kartierte der gebürtige Rüganer die alten Bäume seiner Heimatinsel. Nicht wenige davon besitzen heute Denkmalstatus. Sein lang gehegter Traum, im Osten Deutschlands große Schutzgebiete einzurichten, ging nach der Wende 1989 endlich in Erfüllung. Denn der Biologe, Geobotaniker und Landschaftsökologe war an der Entwicklung des sogenannten Nationalparkprogramms der DDR maßgeblich beteiligt. Er gehörte zu dem kleinen Team von Wissenschaftlern, das noch vor der Wiedervereinigung konkrete Pläne für die ersten drei Naturparks, sechs Biosphärenreservate und fünf Nationalparks schmiedete. Bundesweit der kleinste ist der Nationalpark Jasmund – benannt nach Rügens gleichnamiger Halbinsel.

Kostbare Buchen-Bestände

Dass dieses Reservat Hans Dieter Knapp besonders am Herzen liegt, beruht nicht nur auf Heimatliebe. Die wunderschönen Buchen auf der Stubnitz – der hügeligen Waldlandschaft an Jasmunds Kreideküste – haben es ihm von Kind an angetan. „Buchenwälder sind Europas ursprüngliche Wildnis, einzigartige Ökosysteme, die es zu erhalten gilt.“ Trotz Dominanz der einen Baumart seien sie Lebensräume vieler Spezies. Dieser Reichtum wachse mit dem Alter eines Waldes – insbesondere durch dessen Totholz. Indem es Pilzen, Flechten, Moosen und Insekten Raum und Nahrung bietet, wird es selbst wieder Teil des lebenden Wald-Organismus. „Je mehr sich die Natur selbst überlassen ist, umso schöpferischer und dynamischer kann sie sich entfalten“, sagt Knapp.

Jasmunds Buchenwälder zeigen noch Europas ursprüngliche Wildnis.
Jasmunds Buchenwälder zeigen noch Europas ursprüngliche Wildnis.TMV

Nicht zuletzt seinem Engagement ist es zu verdanken, dass die ältesten und kostbarsten Buchenbestände in Europa als grenzübergreifendes Unesco-Weltnaturerbe geschützt sind. Mittlerweile sind es 78 Wälder in zwölf Ländern – einer der fünf deutschen ist der im Nationalpark Jasmund.

Konstruktion des Königswegs

Von der Ostsee weht ein frisches Lüftchen um den Königsstuhl. Auf dem 118 Meter hohen Kreidefelsen mischt sich der Meergeruch mit dem des Waldes. Die dichten Baumkronen legen sich wie Polster um die steile, weiße Küstenwand. Die Sonne, dick in Wolken eingepackt, hüllt alles in ein sanftes Wattelicht. Irgendwo dort hinten liegt Bornholm, doch nicht einmal die Linie zwischen Meer und Himmel ist bei diesem Wetter auszumachen. Das 100 Kilometer weit entfernte Stück Dänemark bleibt ohnehin dem Blick aus dieser Höhe vorenthalten.

Ändern wird das auch die neue Schwebebrücke nicht. Nur rund vier Meter über dem Boden soll die moderne, 90 Meter lange Konstruktion als „Königsweg“ das Nationalpark-Highlight überspannen. Schließlich plant man damit keine Höhenflüge, sondern will sowohl den Felsen als auch künftige Besucher schützen. Den Segen des Professors hat das Projekt, „weil es die Natur auch noch für künftige Generationen erlebbar macht, ohne sie zu belasten“.

Ansturm der Touristen

Naturbedingt sind Kreideklippen ständig in Bewegung. Sensibel reagiert der weiche Kalk auf Nässe, Wind, Frost und Hitze. Hier bröselt es, dort sucht sich Wasser einen Weg aus dem Gestein. Und manchmal brechen ganze Teile aus der Wand und rutschen auf den Strand hinunter. Neben den Urgewalten hat im Lauf der Zeit der Mensch dazu beigetragen. Immer wieder richten zerstörerische Dummheit, Unvernunft und Egoismus große Schäden an. Nicht selten kommt sogar die Feuerwehr zum Einsatz, um mit großem Aufwand ausgerechnet solche Leute zu befreien, die die Klippen trotz Verbots betreten und irgendwann beim Klettern nicht mehr weiterkommen.

Naturbedingt sind Kreideklippen ständig in Bewegung. Erosion nagt an ihnen.
Naturbedingt sind Kreideklippen ständig in Bewegung. Erosion nagt an ihnen. TMV/Grundner

Rund zwei Jahrhunderte Tourismus und jährlich Hunderttausende Besucher hinterließen ihre Spuren auch am Königsstuhl – am stärksten an dem sogenannten Königsgrab, vermutlich einst die letzte Ruhestätte eines Herrschers aus der Bronzezeit. Was von dem Hügelgrab noch übrig ist, liegt an der schmalsten Stelle auf dem Weg zum Aussichtsdeck. „Früher oder später hätte der Zugang ohnehin gesperrt werden müssen“, so Knapp. Doch so weit sollte es nicht kommen. Nach einer langen Planungsphase hat nun der Bau des „Königswegs“ begonnen. Die neue Schwebebrücke in Ellipsenform soll ab Sommer nutzbar sein.

Hauptwerk der Romantik

Fotoapparate klicken. Geknipst wird meistens erst die Küste mit dem Meer und dann noch einmal mit sich selbst. Beliebtester Hintergrund ist im Südosten die steile Klippe der Victoriasicht. „Wir stehen hier in einer Wiege des Tourismus“, kommentiert Hans Dieter Knapp das rege Treiben. Neben dem Erleben stand dabei von Anfang an auch das Bedürfnis, die grandiose Szenerie in Bildern festzuhalten. Das bekannteste Ergebnis stammt von Caspar David Friedrich: das Gemälde „Kreidefelsen auf Rügen“. Als Hauptwerk der Romantik ging es in die Kunstgeschichte ein. Und auch wenn sich darin Wirklichkeit und Kreativität des Künstlers mischen: Es ist die effektivste Ostseeurlaubswerbung aller Zeiten.

Für sein Bild nutzte Caspar David Friedrich Skizzen von verschiedenen Orten. Dennoch glaubt man, dass es sich bei der gemalten Landschaft um die Schlucht des Feuerregenfelsens handelt. Sie zählt wie der Königsstuhl und ein Stück der nördlich gelegenen Küste zur Großen Stubbenkammer, links von der Aussichtsplattform.

Feuerspektakel und Prosastoffe

Seinen Namen hat der Feuerregenfelsen aus den 50er-Jahren des 19. Jahrhunderts. Denn zum Amüsement der Gäste ließ damals Friedrich Behrendt, Pächter des Hotels am Königsstuhl, bei Anbruch der Dunkelheit Reisighaufen an den Kliffkanten entzünden. Nach und nach stürzten die lodernden Zweige nach unten und veranstalteten dabei ein wahres Feuerwerk. Die weißen Kreidewände lieferten den idealen Hintergrund für das Spektakel. Erhalten blieb zum Glück nur dessen Name.

Als Ort, an dem man sich erholt und inspirieren lässt, hatte man die Insel mit der weißen Küste schon im 18. Jahrhundert entdeckt. Dafür sorgte etwa, so Professor Knapp, das Schaffen Ludwig Gotthard Kosegartens: „Der Literat und Theologe verfasste zahlreiche Gedichte wie auch Prosatexte, in denen er die Schönheit Rügens pries.“

RÜGEN-INFO

Hin: vom Hauptbahnhof Rostock mit Bus oder Zug nach Sassnitz, weiter mit Bus 23 zum National- parkzentrum bzw. Unesco-Welterbeforum. Bzw. zwischen dem Norden von Rügen und Hagen mit Bus 14. Weiter per Pendelbus 19 zum NP-Zentrum.

Aktivitäten: Nationalpark-Zentrum Königsstuhl in Sassnitz, mit Dauerausstellung, Bistro und Shop sowie Info Cube zur Schwebebrücke Königsweg. Verschiedene Kombitickets. www.koenigsstuhl.com

Übernachten und essen: Hotel Solthus am See in Baabe (www.solthus.de), Wasserferienwelt Im Jaich in Putbus (www.im-jaich.de).Beide mit sehr guten Restaurants.
Bistro im NP-Zentrum: SB-Restaurant, Terrasse.

Informationen: Nationalpark Jasmund, www.nationalpark-jasmund.de
Königsweg, koenigsweg.koenigsstuhl.com Mecklenburg-Vorpommern: www.auf-nach-mv.de

Compliance-Hinweis: Die Reise wurde unterstützt vom Tourismusverband Mecklenburg-Vorpommern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.04.2022)

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