Entwicklungsforschung

Gestärkte Frauenrechte helfen gegen den Hunger

Stefanie Lemke von der Boku Wien erforscht mit Partnern in Ost- und Westafrika neue Strategien, um die strukturellen Ursachen von Hunger und Unterernährung zu beseitigen. In ihrem aktuellen Projekt geht es um Frauen und ihr Recht auf kommunalen Landbesitz.

„Ich sage nicht, dass Frauen immer besser wirtschaften als Männer“, betont Stefanie Lemke. „Aber es geht um die Schwerpunkte, die sie legen.“ Die neue Leiterin des Instituts für Entwicklungsforschung der Boku Wien sieht in der Stärkung von Frauenrechten eine wesentliche Säule des Kampfes gegen Hunger und Unterernährung. Denn traditionelle Rollenzuschreibungen und Wertvorstellungen formen Gesellschaften – und wirken sich damit auf fragile Ernährungssysteme im Globalen Süden aus.

„Männer, die über Land verfügen, tendieren dazu, Geld damit verdienen zu wollen“, erklärt Lemke. Das fördere die Abhängigkeiten von Märkten. „Natürlich produzieren Frauen auch für den Verkauf, aber sie kümmern sich zusätzlich um das Wohl der eigenen Familie.“ Gemeinsam mit Priscilla Claeys von der Coventry University in England und lokalen Kooperationspartnern – Farmer- und Hirtengruppen in Kenia, Tansania, Guinea und Mali – betreibt sie im Projekt „Women's Communal Land Rights“ partizipative Aktionsforschung vor Ort. Diese umfasst unter anderem Befragungen zu Landbesitz, Erbrecht und Teilhabe sowie Gemeindeversammlungen.

Mit dem Mann ist das Land weg

„Vielfach haben Frauen keine Mitbestimmung darüber, was die Nutzung von Land betrifft“, so Lemke. Stirbt der Vater oder Ehemann, geht das Grundstück an ein männliches Familienmitglied, und die Versorgung für die eigene Familie fällt weg. „Per Gesetz haben Frauen zwar oft schon mehr Rechte, in ländlichen Gegenden greift das allerdings nicht immer.“ Hier gelte nicht selten das sogenannte Gewohnheitsrecht, das im Gegensatz zur nationalen Gesetzgebung steht. Für Frauen, aber auch für die junge Generation – in vielen afrikanischen Ländern zählt man bis 35 Jahre als Jugendlicher – ist es schwierig, sich mit Land etwas aufzubauen und für die Zukunft zu planen. Doch ohne Planung keine nachhaltige Bewirtschaftung. Gleichzeitig müssten die Männer und andere Familienmitglieder ins Boot geholt werden, um ihre Frauen bei deren zeitintensiven Tätigkeiten – Kinderbetreuung, Kochen, Holzsammeln, Wasserholen – zu unterstützen.

Über 800 Millionen Menschen weltweit hungern. Akut ist die Situation derzeit etwa in Ostafrika, Ende 2021 hat die somalische Regierung den Notstand ausgerufen. Die Mehrzahl der betroffenen Menschen sind Selbstversorger und haben keinen Zugang zu globalen Lebensmittelketten. „Sie müssen gestärkt werden, damit sie nicht von der Nahrungsmittelhilfe abhängig sind“, sagt Lemke, die sich seit 25 Jahren mit Ernährungssystemen vor allem im Globalen Süden beschäftigt und selbst drei Jahre in Südafrika gelebt hat.

Am Samstag bricht sie mit ihrem Kollegen Lorenz Probst nach Uganda zum Treffen mit einem Forschungsteam der dortigen Muni University auf, das sie bei einem geplanten Projekt in einer Geflüchteten-Community im Norden des Landes begleitet. „Wenn wir mit den Menschen vor Ort nicht gleichberechtigt zusammenarbeiten, werden wir nichts erreichen“, ist sie sich sicher. „Von außen sehen wir oft nur das Defizit, den Hunger, aber nicht die Stärken, die Kraft und Kreativität.“ Letztlich können nur die Betroffenen selbst aktiv werden, um etwa Druck auf ihre Regierungen auszuüben. „Wir dürfen jedoch nicht alles auf lokale Gemeinden abwälzen. Benachteiligte Gruppen innerhalb der Community zu stärken ist essenziell, aber auch die Politik ist gefragt“, verweist Lemke auf das Menschenrecht auf angemessene Ernährung. „Die nationalen Regierungen müssen die kleinbäuerliche Landwirtschaft mehr fördern, in die Infrastruktur investieren, Zugang zu Ressourcen sichern und finanzielle Unterstützung für Saatgut und Produktionsmittel unter Verwendung agrarökologischer Prinzipien bereitstellen.“ Kurzum, damit sie besser wirtschaften können, brauchen Kleinbäuerinnen und Kleinbauern andere Strukturen.

„Die klassische Nahrungsmittelhilfe, die in akuten Krisen notwendig ist, ist langfristig gesehen wenig hilfreich, weil sie lokales Wirtschaften untergräbt“, befindet Lemke. Chronische Formen von Hunger, Fehl- und Mangelernährung können nur in den Griff bekommen werden, wenn die komplexen Ursachen dafür beseitigt werden. „Sind Menschen und Landwirtschaft resilienter gegen Dürren und Extremwetter-Ereignisse, können sie auch akute Hungersnöte besser abfedern.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.04.2022)

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