Culture Clash

Freund-Feind-Falle

Der Ukraine-Krieg hält Lektionen für uns bereit, warum wir unsere Freunde nicht verklären sollten und weshalb gute Realisten vernünftigerweise auch ihre Feinde lieben.

Der „Presse“ war es sogar eine Überschrift wert, am Mittwoch: „Wiens FPÖ-Chef bezeichnet Ukraine als ,korrupten Staat‘“. Das ist etwa so bemerkenswert, als hätte Dominik Nepp gesagt, dass Österreich ein reiches Land ist. Die Ukraine ist ja wirklich korrupt. Im Index von Transparency International liegt sie an 122. Stelle: schlechter als Sambia, aber besser als Russland (Österreich ist auf Platz 13). Dass die banale Feststellung Nepps dennoch titelwürdig schien, führe ich auf die emotionale Falle zurück, die in Kriegszeiten auch Journalisten fangen kann: Über die Unsrigen lässt man nichts kommen. Sie sind ja die Guten.

Wenn man die Menschheit nur als entweder gänzlich gute Freunde oder gänzlich böse Feinde wahrnimmt, erleichtert das auf kurze Sicht entschiedenes Handeln. Darum irritiert uns, wenn uns jemand weismachen will, dass unsere Guten auch böse Seiten haben. Beispiele: Es ist unvermeidbar, dass unter den Kämpfern der Ukraine auch Sadisten sind, die Verbrechen verüben. Die Ukraine hat rechtsstaatliche Defizite und ihre eigenen Oligarchen, und Indizien legen nahe, dass der Präsident über Offshore-Konten verfügt. Und die Flüchtlinge sind nicht alles Herzchen. Putin-Sympathisanten erzählen uns das gern, um unsere Überzeugung, auf der guten Seite zu stehen, ins Wanken zu bringen. Und manche Selenskij-Fans hören genau deswegen angestrengt weg.

Nicht, weil sie so integer wäre, ist die Ukraine unterstützenswert, sondern weil sie überfallen worden ist. Aber wir lieben es, die Dinge schön eindeutig zu haben. Doch Differenzieren ist auch in Krisensituationen kein Luxus. Unsere Hilfe für die Ukraine sollte auf der Einsicht in das beruhen, was auf dem Spiel steht, und nicht auf Sympathie: nicht weil wir Selenskij bewundern, mütterliche Gefühle für die kleine Ukraine hegen (die so klein gar nicht ist) oder weil Putin so einen eiskalten Killerblick hat.

Rationale Reflexion also statt emotionalen Reflexes: Die gute von der bösen Absicht zu unterscheiden und danach zu handeln, darauf kommt es an. Aber wer die gute Absicht an der Nettigkeit ihrer Vertreter zu erkennen können meint, wird irgendwann brutal an der komplexeren Wirklichkeit zerschellen. Genauso, wer sich einredet, dass Freunde nur gut und Feinde nur böse sind und dass darum Erstere verklärt und geliebt und Letztere verdammt und gehasst gehören. Es ist tatsächlich nicht nur edler, sondern auch realistischer und damit auf lange Sicht erfolgreicher, alle zu lieben, auch die Feinde. Oder alle zu hassen. Aber was für ein Leben wäre das?

Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

meinung@diepresse.com

www.diepresse.com/cultureclash

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.04.2022)

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