Ukraine

Entsetzen über russisches Massaker in Butscha

Nach dem Abzug der russischen Truppen blieben Zerstörung und Tod. Ukrainische Soldaten dokumentieren, was in Butscha geschehen ist.
Nach dem Abzug der russischen Truppen blieben Zerstörung und Tod. Ukrainische Soldaten dokumentieren, was in Butscha geschehen ist.Reuters
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Die Entdeckung getöteter Zivilisten bei Kiew löst international Entsetzen aus. Massive Vorwürfe richten sich gegen Moskau, hier Kriegsverbrechen verübt zu haben. Russland greift indes Odessa an.

Kiew/Wien. Auf den Straßen von Butscha, nordwestlich der ukrainischen Hauptstadt Kiew, liegen die Leichen auf der Straße. Bei einigen sind die Hände hinter dem Rücken mit Kabelbindern gefesselt. Neben einem Toten liegen ein Fahrrad und eine Einkaufstasche. Wenige Meter weiter, in einem völlig zerstörten Auto, befindet sich noch der leblose Körper des Fahrers. „Ich kannte den Mann, der wohnte in der Gegend“, sagt Yuri, ein Bewohner des Städtchens. „Ein friedlicher Mensch. Die Russen fuhren einfach mit einem Panzer über sein Auto.“

Es sind Bilder des Grauens, die am Sonntag aus dem wochenlang von russischen Soldaten besetzten Städtchen kursierten. In Dutzenden Videos und Fotos wird der Horror dokumentiert, den die Einwohner zu erleiden hatten. Aufgenommen wurden die Filme, Gespräche und Fotos unter anderem von internationalen Reportern vor Ort, die sich nach dem russischen Rückzug ein Bild der Lage machten. Bei vielen Leichen seien Schusswunden am Kopf erkennbar gewesen. „Diese Leute wurden einfach abgeknallt“, erzählt ein Einwohner, der sich im Keller versteckt gehalten hat.

Auch die ukrainische Regierung postete Bilder und Videos aus Butscha in sozialen Medien und auf offiziellen Online-Seiten. Präsidentenberater Michailo Podoljak twitterte: „Das ist die Hölle des 21. Jahrhunderts.“ Er sprach von „Leichen von Männern und Frauen, die mit gebundenen Händen ermordet wurden. Die schlimmsten Verbrechen des Nationalsozialismus sind nach Europa zurückgekehrt.“ Gut einen Monat war Butscha unter russischer Besatzung. Laut Bürgermeister Anatoly Fedoruk töteten russische Soldaten in der Zeit Hunderte Bewohner. In einem Massengrab wurden 280 Todesopfer bestattet, die während der Angriffe nicht beigesetzt werden konnten.

„Vorsätzliches Massaker“

„Das, was in Butscha und anderen Vororten von Kiew passiert ist, kann man nur als Völkermord bezeichnen“, sagte Kiews Bürgermeister, Vitali Klitschko, der „Bild-Zeitung“. Für die Kriegsverbrechen sei Präsident Wladimir Putin persönlich verantwortlich. „Kein Cent darf mehr nach Russland gehen, das ist blutiges Geld, mit dem Menschen abgeschlachtet werden.“ Außenminister Dmytro Kuleba forderte härtere Sanktionen gegen Russland. „Das Massaker von Butscha war vorsätzlich. Die Russen zielen darauf ab, so viele Ukrainer wie möglich auszulöschen. Wir müssen sie rausschmeißen.“

Entsetzt zeigten sich auch hochrangige europäische Politiker. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach von „Horrorszenen“ nach dem Abzug der russischen Truppen aus der Umgebung von Kiew. Auf Twitter verlangte sie eine unabhängige Untersuchung. „Kriegsverbrecher werden zur Verantwortung gezogen.“ Deutschlands Kanzler, Olaf Scholz, fordert: „Ich verlange, dass internationale Organisationen Zugang erhalten zu diesen Gebieten, um die Gräueltaten unabhängig zu dokumentieren.“ Die deutsche Verteidigungsministerin, Christine Lambrecht, brachte einen Stopp russischer Gaslieferungen ins Gespräch. „Es muss eine Reaktion geben. Solche Verbrechen dürfen nicht unbeantwortet bleiben“, sagte sie laut Vorabmeldung in der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“, die am Sonntagabend ausgestrahlt werden sollte. Deutschland zählte bisher zu den Bremsern innerhalb der EU, was einen Gasboykott betrifft.

Die Ukraine hat Russland bereits wegen Kriegsverbrechen verklagt, der Chefankläger des Weltstrafgerichts in Den Haag ermittelt. Russland erkennt allerdings die Gerichtsbarkeit des Haager Gerichtshofs nicht an. Auch die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch dokumentiert indes in einem neuen Bericht russische Kriegsverbrechen. Darin ist von Morden, Vergewaltigungen, Plünderungen und anderen Gewaltakten gegen Zivilisten die Rede.

Rauchwolken über Odessa

Die Verbrechen wurden publik, weil sich Russlands Soldaten aus dem Norden des Landes zurückzogen und die ukrainischen Truppen Gebiete zurückeroberten. Umso intensiver setzt Russland seine Angriffe im Süden und Osten der Ukraine fort: Ziel eines Luftangriffs war auch die Hafenstadt Odessa. Aus Moskau hieß es, von Schiffen und Flugzeugen aus seien eine Ölraffinerie und drei Treibstofflager bei Odessa beschossen worden. Auf Fotos war Rauch über Odessa zu sehen. Auch aus der Hafenstadt Mykolajiw wurden Angriffe gemeldet.

(APA/AFP/dpa/basta)

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