Der ökonomische Blick

Sollte die EZB wirklich die Zinsen erhöhen?

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Die US-Notenbank hat die Zinswende gestartet. In der Eurozone gibt es gute Gründe für eine eigenständige Geldpolitik.

Die amerikanische Notenbank Fed hob die Leitzinsen bereits um 0,25 Prozentpunkte an; weitere Zinserhöhungen sind für dieses Jahres angekündigt. Sollte sich die Europäische Zentralbank (EZB) ein Vorbild an der Fed nehmen, indem sie bald und signifikant die Zinsen anhebt? Einige Politikerinnen und Politiker, aber auch Ökonominnen und Ökonomen fordern das. Tatsächlich gibt es in der Eurozone jedoch auch gute Gründe für eine eigenständige und weniger restriktive Geldpolitik.

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• Die Inflation in den Vereinigten Staaten war im vorigen Jahr durchgehend deutlich höher als in der Eurozone. Nun ließe sich einwenden: Da wie dort lag die Inflationsrate in den vergangenen Monaten über dem Preisstabilitätsziel von zwei Prozent; deshalb müssten auch in der Eurozone die Zinsen steigen. Allerdings gibt es einen Unterschied: Während die gestiegene Inflation in den USA auf breiterer Front bei Gütern und Dienstleistungen zu verzeichnen ist, treiben in der Eurozone die steigenden Energiepreise viel stärker die Inflationsrate als in den USA.

• Der Verweis auf die Öl- und Gaspreise als zentrale Treiber für die Inflation in der Eurozone ist wichtig. Denn gestiegene Energiepreise sind maßgeblich durch die geopolitischen und wirtschaftlichen Verwerfungen rund um Ereignisse in der Ukraine bedingt. Eine Anhebung des Leitzinses ist hier kein wirkungsvolles Instrument, um gegen höhere Energiepreise vorzugehen.

• Die Zentralbank kann durch Zinsänderungen die Inflationsrate nicht direkt steuern. Eine Zinsanhebung macht Kredite teurer: Unternehmen senken ihre Investitionen. Die Menschen geben weniger Geld für den Konsum aus. Wirtschaftswachstum und Beschäftigung werden gebremst. Dies reduziert in der Folge auch Lohnwachstum und Inflationsrate; die Wirkungsverzögerung kann bis zu 18 Monate betragen. Zinserhöhungen sind ein grobes Instrument, das die aktuell wichtigsten Treiber der Inflation in der Eurozone nicht zielgerichtet adressiert, aber breitflächige Kollateralschäden in einer ohnehin von den Folgen des Ukraine-Kriegs getroffenen Wirtschaft verursacht.

• Die Ausgaben für langlebige Güter stiegen während der Pandemie: Private Haushalte mit höheren Einkommen kauften neue Autos, Bäder etc. Gleichzeitig hielten sich jedoch Kunden von Restaurants, Konzerten und anderen Dienstleistungen fern. Die Preise von langlebigen Gütern ändern sich schneller als die von Dienstleistungen; außerdem sind sie auf komplexe, oft globale Lieferketten angewiesen. Der plötzliche Nachfrageumschwung – weg von Dienstleistungen – ging mit Produktionsunterbrechungen aufgrund von Lockdowns und anderen Sicherheitsmaßnahmen einher. Hohe Nachfrage und ein unzureichendes Angebot ermöglichten es einigen Herstellern, die Preise erheblich anzuheben. Preise für Dienstleistungen blieben gleichzeitig jedoch deutlich stabiler. Zinserhöhungen sind nicht das geeignete Instrument, um die zugrunde liegenden relativen Preisänderungen zu adressieren.

Auch wenn die Lieferkettenprobleme mittlerweile etwas nachlassen, ist angesichts der Verbreitung der Omikron-Variante keine nachhaltige Entspannung in Sicht. Dies zeigen die jüngsten Lockdowns in chinesischen Millionenstädten, die auch für den Technologiesektor wichtig sind – etwa bei der Lieferung von Chips für weitere Produktion.

• Es gibt in der Eurozone keine Anzeichen für die von vielen gefürchtete Lohn-Preis-Spirale, welche die Inflation quasi zum Selbstläufer machen könnte. Das Lohnwachstum lag zuletzt im Vergleich zum Vorjahr bei 1,6 Prozent. Selbst wenn wir davon ausgehen, dass die Löhne in diesem Jahr stärker steigen, müsste sich das Lohnwachstum auf drei Prozent verdoppeln (unter der Annahme eines typischen Produktivitätswachstums von einem Prozent), um einen Unterschied für den Inflationsausblick der EZB zu machen.

• Angesichts der negativen Auswirkungen des Ukraine-Kriegs ist keine boomende Wirtschaft in der Eurozone in Sicht: Es wird kein starkes Nachfrageumfeld geben, in dem die Inflation auf breiter Front davongaloppieren könnte, wenn die EZB nicht mit Zinserhöhungen entgegenwirkt. Die amerikanische Wirtschaft ist hingegen deutlich näher an der Vollbeschäftigung als die der Eurozone. Der US-Arbeitsmarkt brummt, nachdem die Budgetpolitik der Regierung von Joe Biden in der Covid-19-Krise deutlich expansiver ausfiel als in der Eurozone. Zudem kam Kurzarbeit in den USA nicht bei der Bekämpfung der Covid-19-Krise zum Einsatz. Es gab mehr Entlassungen, dann aber auch nach kurzer Zeit eine Einstellungswelle. Die Folge ist, dass die Löhne in den USA in einigen Branchen sehr stark ansteigen, weil die Unternehmen auf einem engen Arbeitsmarkt um Arbeitskräfte buhlen. Eine Lohn-Preis-Spirale ist in den USA eine besser begründete Sorge als in der Eurozone, zumal die amerikanische Wirtschaft weniger stark vom Krieg in der Ukraine getroffen wird.

• In der Eurozone ist bei Überlegungen zur Straffung der geldpolitischen Zügel besondere Vorsicht geboten. Denn in der Folge könnten die Zinsen auf Staatsanleihen in Italien und einigen anderen Euroländern stark und sprunghaft steigen. Das ist besonders in einem Umfeld großer Marktunsicherheiten eine Gefahr, in der es zu ansteckender Panik an den Anleihemärkten kommen kann. Eine weitere Eurokrisen-Episode ist tunlichst zu vermeiden, zumal durch verfrühte Zinserhöhungen ausgelöste Finanzmarktturbulenzen die EZB auch dazu zwingen könnten, ihre Anleihekäufe wieder zu erhöhen, die mit den letzten geldpolitischen Beschlüssen deutlich reduziert worden waren.

Die Macht haben andere

Die wirkungsvollsten Anti-Inflations-Maßnahmen liegen aktuell nicht in der Macht der Zentralbanken. Sie bestehen darin, die Covid-19-Pandemie global in den Griff zu bekommen, die Lieferkettenprobleme zu lösen und den Ukraine-Krieg zu beenden. Die Regierungen spielen eine wichtige Rolle bei der Inflationsbekämpfung, etwa durch die Überwachung von Lieferketten und verstärkte Wettbewerbspolitik, um Preisabsprachen und Gewinn-Preis-Spiralen durch Unternehmen mit Marktmacht entgegenzuwirken. Solang der Ukraine-Krieg die Energie- und Nahrungsmittelpreise in die Höhe treibt, werden weitere Kompensationsmaßnahmen der Regierungen für Haushalte mit niedrigen Einkommen, die besonders von den Preisanstiegen betroffen sind, erforderlich sein.

Zinserhöhungen der EZB bleiben für die Zukunft eine Option – wenn sich eine Verfestigung höherer Inflationserwartungen bzw. eine Lohn-Preis-Spirale abzeichnen sollte. Im aktuellen Umfeld des Ukraine-Kriegs gibt es große ökonomische und politische Unsicherheiten. Dazu kommt, dass die wirtschaftliche Gesamtlage in der Eurozone erheblich fragiler ist als in den USA. Vor diesem Hintergrund wäre es ein Fehler, wenn die EZB den Zinserhöhungen der Fed nacheifern würde.

Der Autor

Philipp Heimberger(geboren 1988) ist seit 2016 Ökonom am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw). Seine Arbeitsschwerpunkte sind Makroökonomik und europäische Wirtschaftspolitik.

Heimberger ist außerdem an der Wirtschaftsuniversität Wien als Dozent tätig und publiziert Gastbeiträge in verschiedenen Medien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.04.2022)

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