Druck steigt

"Falscher Weg": Kein sofortiges Energie-Embargo gegen Russland

Demonstranten in Hamburg fordern die Einstellung von Gasimporten aus Russland
Demonstranten in Hamburg fordern die Einstellung von Gasimporten aus Russland (c) IMAGO/Joerg Boethling (IMAGO/Joerg Boethling)
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Die baltischen Staaten haben am Wochenende den Import von Erdgas aus Russland eingestellt. Andere EU-Staaten ringen noch damit. Die jüngsten Geschehnisse in Butscha haben die Diskussion neu angefacht.

Nach den Gräueltaten in der ukrainischen Stadt Butscha steht ein sofortiger Stopp von Energielieferungen aus Russland wieder im Zentrum der Diskussion. Die baltischen Staaten sind vorangegangen und haben den Import von Erdgas aus Russland eingestellt. "Seit dem 1. April fließt kein russisches Erdgas mehr nach Lettland, Estland und Litauen“, hieß es dazu am Wochenende.

Die deutsche Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) betonte, dass nach den Vorgängen in Butscha auch das Thema Energielieferungen Gesprächsgegenstand weiterer Konsequenzen sein müsse. Die deutsche Regierung bleibt aber bisher bei ihrer Haltung, diesen Schritt aus Sorge vor den Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft nicht zu gehen. Entsprechend äußerten sich der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil und der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen.

Österreich: Genug andere Möglichkeiten neben Gas-Embargo

Auch Österreich zeigt sich zögerlich: "Was liegt, das pickt“, hatte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) mit Blick auf die Forderung Putins, Energie aus Russland in Rubel zu bezahlen, und die bestehenden Verträge der OMV mit der Gazprom bis 2040 vergangene Woche gemeint. "Wir haben immer gesagt bei Sanktionen, dass sie diejenigen treffen sollen, auf die man abzielt und nicht auf uns zurückfallen sollen als Bumerang", betonte auch Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) am Montag und sprach sich damit erneut gegen ein Embargo für russisches Gas aus. Dafür aber für weitere Russland-Sanktionen: "Wir arbeiten jetzt schon sehr heftig an einem weiteren Sanktionspaket, das noch diese Woche voraussichtlich verabschiedet wird." Abseits von einem Gas-Embargo gebe es "genug andere Möglichkeiten, wo wir die Sanktionsschraube fester andrehen können".

Auch Umwelt- und Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) äußerte sich am Montag skeptisch gegenüber einem völligen Verzicht auf Gas aus Russland. Es würden auch ihr die Worte fehlen angesichts der Bilder aus der Ukraine und dem schrecklichen Angriffskrieg des russischen Präsidenten Wladimir Putin, betonte sie. Die Abhängigkeit von Rohstoffimporten aus Russland werde nun so schmerzlich bewusst wie noch nie zuvor.

Allerdings, so Gewessler: "Österreich ist in überproportionalen Ausmaß abhängig von russischen Erdgaslieferungen." Der Anteil liege bei 80 Prozent, wobei dieser in der Vergangenheit nicht reduziert, sondern sogar erhöht worden sei. Die Ausgangssituation sei schwierig, auch weil Österreich über keinen Meereszugang verfüge, etwa für Flüssigerdgas (LNG).

"Jetzt geht es darum, alles zu tun, damit wir unabhängig werden von russischen Importen und, das steht hinter dem Konflikt, von fossilen Energien insgesamt", sagte Gewessler. Die Europäische Union habe einen Rahmen vorgeschlagen, nämlich bis 2027 die Abhängigkeit zu reduzieren: "Das wird nur in einem starken Schulterschluss gehen."

Stopp von „heute auf morgen" nicht möglich

Ähnlich hatte man sich in Deutschland geäußert. Klingbeil sagte am Sonntagabend in der ARD-Sendung "Anne Will", er halte trotz der schrecklichen Bilder von Butscha "ein sofortiges Gasembargo aus vielen Gründen für einen falschen Weg". Der bayerische Ministerpräsident, CSU-Chef Markus Söder, teilte diese Position und wies darauf hin, dass sich Russland bereits andere Abnehmer suche, etwa Indien.

"Wir drehen gerade jeden Tag den Gashahn ein Stück weiter zu", sagte Klingbeil. Einen völligen Stopp von heute auf morgen zu machen, "da müssen wir bei aller Brutalität dieser Bilder und bei aller Emotionalität, die auch ich habe, da müssen wir über die Konsequenzen reden, die das für uns in Deutschland hätte". Da gehe es nicht nur um die Folgen für die Industrie, sondern auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Habeck betonte, Deutschland warte nicht mit der Abkoppelung von der Energieversorgung aus Russland, sondern sei in den vergangenen vier Wochen ein gutes Stück vorangekommen. "Wir verfolgen ja eine Strategie, uns unabhängig von russischem Gas, von Kohle, und von Öl zu machen, nur eben nicht sofort", sagte der Grünen-Politiker am Sonntagabend im ZDF. Die nächsten Schritte seien, das russische Eigentum an deutscher Energieinfrastruktur - Gazprom oder Rosneft - "nicht der russischen Willkür auszusetzen". Habeck bekräftigte, dass Deutschland bei Kohle Ende des Sommers frei von russischen Lieferungen sein werde und Ende des Jahres frei von russischem Öl.

Weitere EU-Sanktionen gefordert

Lambrecht forderte eine schnelle Antwort der EU-Staaten auf Gräueltaten an der ukrainischen Zivilbevölkerung. Die EU-Staaten müssten sich schnellstmöglich über weitere Sanktionen gegen Russland austauschen, sagte sie am Sonntag dem "Bericht aus Berlin" der ARD. Sie gehe davon aus, dass dann auch über Energielieferungen gesprochen werde. Die FDP-Jugendorganisation Junge Liberale rief die deutsche Regierung auf, nach den Gräueltaten in Butscha ein "schnellstmögliches Energie-Embargo" gegen Russland zu verhängen.

Die deutsche Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) sagte den Sendern RTL und ntv, die Sanktionen müssten "vor allen Dingen Russland schaden und nicht uns". Ein schneller Ausstieg hätte enorme Folgen für wichtige Branchen wie die chemische und die Stahlindustrie.

Polen: Russische Energieimporte bis Ende des Jahres beenden

Polen spricht sich schon seit Beginn des Ukraine-Kriegs für ein EU-Embargo russischer Energielieferungen aus. Bis Ende des Jahres strebe das Land die Unabhängigkeit von russischen Öl- und Gaslieferungen an, sagte Regierungschef Mateusz Morawiecki vergangene Woche in Warschau. Sein Land habe schon jetzt die Abhängigkeit von russischem Öl deutlich reduziert und verfolge in der EU den radikalsten Plan, um den Import von russischen Energiequellen zu beenden, so Morawiecki.

Der litauische Präsident Gitanas Nausėda rief die restlichen EU-Staaten auf am Samstag Twitter auf, dem Beispiel des Baltikums zu folgen. Sein Land habe vor Jahren Entscheidungen getroffen, „die es uns ermöglichen, ohne Schmerzen die Energiebeziehungen mit dem Aggressor zu beenden“, so Nausėda. „Wenn wir das können, kann der Rest von Europa das auch!“

Mehr Unabhängigkeit von Russland wollen seit dem Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine viele Staaten in Europa erreichen. Allerdings ist Russland nicht nur bei Gas ein schwer ersetzbarer Lieferant, sondern auch bei vielen anderen Rohstoffen, die in der Industrie benötigt werden, wie eine aktuelle Studie Instituts für Wirtschaft zeigt. [>>> Mehr dazu]

(APA/dpa/Red.)

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