Nato-Gipfel: "Die Eiszeit ist vorbei"

NatoGipfel Eiszeit vorbei
NatoGipfel Eiszeit vorbei(c) EPA (VLADIMIR RODIONOV / RIA NOVOSTI)
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Die westliche Allianz und Russland vereinbaren beim Gipfel in Lissabon eine Zusammenarbeit beim einstigen Zankapfel Raketenabwehr. Wie diese aussieht, steht allerdings noch in den Sternen.

Lissabon. Unter der wärmenden Novembersonne Lissabons ist das Eis zwischen Russland und der Nato wenn nicht ganz geschmolzen, so doch stark aufgetaut. Diesen Eindruck wollten am Rand des großen Nato-Gipfels vom Wochenende jedenfalls beide Seiten vermitteln: Russlands Präsident Dmitrij Medwedjew erklärte die Eiszeit für überwunden, Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel bemühte gleich größere historische Dimensionen und meinte: „Der Kalte Krieg ist endgültig zu Ende.“

Erstmals seit dem russisch-georgischen Krieg im Sommer 2008 war es nun in der portugiesischen Hauptstadt zu einem Treffen zwischen Russland und der Nato auf höchster Ebene gekommen.

Besonders deutlich wurde die atmosphärische Verbesserung beim heiklen Thema Raketenabwehr: Medwedjews Vorgänger Wladimir Putin hatte die Pläne von Ex-US-Präsident George W. Bush, in Osteuropa Komponenten eines Raketenschirmes zu installieren, noch in Bausch und Bogen verdammt. Beteuerungen der USA, das System sei keinesfalls gegen Russland gerichtet – tatsächlich dient es hauptsächlich der Abwehr von in der Zukunft möglicherweise atomar bestückten Raketen aus dem Iran – sah Moskau seine Sicherheitsinteressen bedroht.

Bushs Nachfolger Obama hat die Pläne deutlich modifiziert. Eine der wichtigsten Änderungen, die auf dem Lissabonner Gipfel noch einmal bekräftigt wurde: Aus dem US-System wurde nun eines der gesamten Allianz. Die Vorbereitungen befinden sich allerdings noch in einem sehr frühen Stadium. In welchem Land dereinst welche Komponenten des Systems stationiert sein werden, steht nämlich noch in den Sternen.

Obama: „Partner, nicht Feinde“

Medwedjew akzeptierte am Samstag in Lissabon das Angebot, über eine Beteiligung zu verhandeln, machte allerdings deutlich, dass Russland gleichberechtigt beteiligt sein müsse. Durch ein gemeinsames Vorgehen könne der ehemalige Zankapfel zu einer Quelle der Zusammenarbeit gegen gemeinsame Bedrohungen werden, meinte Obama: Der Gipfel mache klar, dass Russland „Partner und nicht Feind“ sei. Angesichts des Argwohns, der vor allem aus historischen Gründen lange Zeit in den baltischen Staaten und in Polen vorherrschte, ist das eine nicht unwesentliche Feststellung. Denn diese Staaten tragen das Kooperationsangebot an Moskau nun ohne Vorbehalte mit.

Zweites Hauptergebnis von Lissabon ist die Abzugsstrategie für Afghanistan. Das Ziel ist ehrgeizig: Die 48 Länder der Internationalen Afghanistan-Truppe (Isaf) wollen ihre Kampftruppen bis Ende 2014 vom Hindukusch abziehen. Bereits Anfang 2011 soll die Übergabe der Verantwortung an die afghanischen Sicherheitskräfte beginnen.

NATO-Generalsekretär Rasmussen zeigte sich in Lissabon zuversichtlich, dass die Allianz der – nachdrücklichen – Bitte von Präsident Hamid Karzai auch nachkommen könne. Die Nato habe bereits 260.000 afghanische Sicherheitskräfte ausgebildet und wolle bis Ende nächsten Jahres auf die Zielmarke 300.000 kommen. „Wir sind unserem Zeitplan voraus“, versicherte der Däne.

Taliban fordern sofortigen Abzug

Ein hoher US-Vertreter dämpfte dagegen in Lissabon Erwartungen, die Nato sei nach dem aufreibenden neunjährigen Einsatz mit rund 2200 getöteten Soldaten über den Berg: „Viele harte Kämpfe liegen noch vor uns.“ Dafür hat das Bündnis zuletzt noch einmal massiv aufgerüstet: Vor einem Jahr standen rund 100.000 Isaf-Soldaten in Afghanistan im Kampf gegen die radikal-islamischen Taliban, heute sind es 130.000.

Die Taliban reagierten umgehend auf die Beschlüsse des Nato-Gipfels: In einem Statement bezeichneten sie den Abzugsplan als „irrational“ und forderten alle fremden Truppen auf, das Land sofort zu verlassen. Ansonsten werde es zu noch mehr Blutvergießen kommen. ag/hd

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.11.2010)

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