Film & Fotografie

Diagonale: Auf Augenhöhe mit Tizza Covi und Rainer Frimmel

Rainer Frimmel und Tizza Covi.
Rainer Frimmel und Tizza Covi.(c) Diagonale / Anna Stöcher
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Das Festival des österreichischen Films und der Verein Camera Austria widmen dem Regieduo hinter „Aufzeichnungen aus der Unterwelt“ eine große Film- und Fotoschau in Graz. Im Gespräch mit der „Presse“ erläutern Covi und Frimmel ihren künstlerischen Zugang.

Dass Tizza Covi und Rainer Frimmel bei der diesjährigen Diagonale mit einer Werkschau gewürdigt werden, wirkt aus Kritikersicht fast wie Buße für ein augenfälliges Versäumnis. Das Schaffen des Zweigespanns zählt zum Markantesten, was die heimische Filmkunst zu bieten hat – und das nicht erst seit dem famosen Strizzi-Sittengemälde „Aufzeichnungen aus der Unterwelt“, das 2021 die Kinos beehrte. Schon die Filme, die Covi und Frimmel mit italienischen Wanderartisten drehten – von „La Pivellina“ (2009) bis „Mister Universo“ (2016) – haben sich mit ihrem Spagat zwischen Langzeitdoku und magischem Realismus nachhaltig in der Filmhistorie Österreichs abgedrückt.

Das Duo selbst sieht die Sache gelassen. „Wir dachten immer: Das muss jetzt nicht sein, da sollten wir noch mehr leisten. Peter Schernhuber und Sebastian Höglinger [die Diagonale-Intendanten, Anm. d. Red] mussten regelrecht um unsere Zusage kämpfen“, meint Covi lachend im „Presse“-Gespräch.

Doch nach vier Hauptpreisen in Graz und etlichen internationalen Auszeichnungen darf man getrost Rückschau halten – auf eine produktive Zusammenarbeit, die an der Graphischen begann. Dort besuchten die Boznerin und der Wiener, beide Jahrgang 1971, das Kolleg für Fotografie. Nach dem Studium etablierten sie ihre symbiotische Kunstpraxis. „Uns war immer egal, wer den Auslöser drückt“, so Covi: „Das Ergebnis zählt.“ Dennoch gibt es bei ihren Filmen eine klare Arbeitsteilung: Covi kümmert sich um Schnitt und Inszenierung, Frimmel um die Kamera und das Dokumentarische.

Von der Oblast Kaliningrad nach Italien

Der Weg vom Fotografieren zum Film führte über Jasnaja Poljana – ein Dorf in der Oblast Kaliningrad, damals eine der ärmsten Regionen Russlands. Ab 1998 verbrachten Covi und Frimmel für ein Projekt drei Sommer dort, lernten Einwohner kennen, machten Polaroid-Aufnahmen. „Niemand hatte ein Foto von sich. Wir schossen Porträts für die Dörfler, Erinnerungsbilder für uns“. Letztere kann man sehen – im Rahmen einer Ausstellung in der Grazer Galerie Camera Austria, die die Diagonale-Schau ergänzt.

Um den Eindruck vor Ort umfassend wiederzugeben, verlegte sich das Team auf Bewegtbild. Resultat: „Das ist alles“ (2001), das reduzierte – aber erstaunliche offene – Porträt einer Siedlung, in der Russen, Russlanddeutsche, Armenier Seite an Seite leben. Die Herzlichkeit im Dorf ist Covi und Frimmel stark im Gedächtnis geblieben. Umso mehr schmerzt sie, was heute in Russland passiert.

Zu manchen ihrer damaligen Protagonisten haben sie bis heute ein enges Verhältnis. Selbiges gilt für die Gemeinschaft, um die sich ein Hauptteil ihres bisherigen Œuvres dreht. Schon als Fotografen lernten Covi und Frimmel Mitglieder eines italienischen Wanderzirkus kennen. Das spätere Vorhaben eines Episodenfilms über eine Schaustellerfamilie uferte im positiven Sinne aus: Vier abendfüllende Arbeiten zeitigte die Annäherung an das nomadische Milieu. „Morgens aufbauen, abends weiterziehen, das hat uns enorm fasziniert“, so Frimmel.

„Babooska“ (2005) folgt dem entwurzelten, aber zwischenmenschlich geerdeten Leben hinter Zeltkulissen noch aus der Beobachterperspektive. Die Natürlichkeit, mit der die Artisten schon damals vor der Kamera agierten, beeindruckt das Duo bis heute. Da schien es gar nicht so abwegig, einen Spielfilm mit ihnen zu drehen. „La Pivellina“, worin ein Schaustellerpaar (verkörpert von Patrizia Gerardi und Walter Saabel) ein Kind adoptiert, das von seinen Eltern am Stadtrand von Rom zurückgelassen wurde, schaffte es in die Quinzaine des réalisateurs in Cannes. „Wir wollten die Kinderverzahrer-Ressentiments der Italiener gegen Zirkusleute bewusst ins Gegenteil verkehren“, meint Covi. Unter Saabels Mitwirkung entstand 2012 auch „Der Glanz des Tages“, worin der zirzensische Charakterkopf zusammen mit Philipp Hochmair durch Wien vagabundiert.

Filme, in denen sich die Gefilmten wiederfinden

Die Nähe zu ihren oft randständigen Figuren verdanken Covi und Frimmel dem Credo, diesen auf Augenhöhe zu begegnen. Dazu gehört auch eine Grundkenntnis ihres jeweiligen Idioms, wie Frimmel betont: „Ohne gemeinsame sprachliche Basis kann man keine Beziehung zu den Menschen aufbauen, die man filmt“. Was aber keine Meinungseinigkeit bedeuten muss: So sind die lebensphilosophischen Ergüsse von Frimmels altem Zivi-Kollegen, die in der Found-Footage-Perle „Aufzeichnungen aus dem Tiefparterre“ (2000) weit in die austriakische Seele blicken lassen, nicht seine eigenen.

Als ein Vorbild für die Haltung des Duos, die jener vieler Sozialreportagen diametral gegenübersteht, nennt Covi den deutschen Regierenegaten Roland Klick: „Wenn man von Menschen etwas bekommt, weil sie sich einem für einen Film anvertrauen, sollte man ihnen auch etwas zurückgeben, meinte Klick einmal in einem Interview. Und das einzige, was wir ihnen zurückgeben können, sind Filme, in denen sie sich wiederfinden.“

Filmschau: „Zur Person: Tizza Covi und Rainer Frimmel“. 6-10. April im Rahmen der Diagonale in Graz. / Fotoausstellung: „Tizza Covi und Rainer Frimmel. Über die Ränder“. 19.3.-22.5. in der Grazer Galerie Camera Austria.

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