Lokalkritik

Testessen im Pisqu

Pisqu
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Auf Grätenceviche und warme Drinks mit Kurt Tucholsky.

Wenn die gastronomischen Fähigkeiten nicht mit dem Selbstverwirklichungsdrang mithalten können: Angesichts einer solchen Neueröffnung bietet sich Kurt Tucholskys Kunstgriff der (per Du gehaltenen) „Ratschläge für einen schlechten Redner“ an:
„Ratschläge für schlechte Gastronomen“. Stimme deine Gäste früh auf das Kommende ein: Ignoriere ihre Reservierung. Notiere dir am Tisch prinzipiell keine Bestellungen, egal wie umfangreich. Vergiss alles Bestellte sofort wieder. Deine Gäste sind nicht gekommen, um sich miteinander zu unterhalten, sondern um dir immer wieder aufs Neue zu erzählen, was sie gerne hätten. Das trainiert auch das Erinnerungsvermögen aller Beteiligten.

Entferne für Ceviche nie alle Gräten. So lieferst du stichhaltige Beweise, dass deine Gäste tatsächlich echten Fisch bekommen. Und serviere das Ceviche keinesfalls schon mariniert im verzehrfertigen Zustand, wir sind ja nicht in Peru! Lass das die Gäste am Tisch selbst erledigen. Während der Fisch in der Säure gart, haben sie ausreichend Zeit, deine schicke Tapete und deine Tische zu bewundern. Serviere Drinks wie einen Pisco sour stets lauwarm. Das ist viel bekömmlicher und bietet auch noch eine Art Ayurveda-Kur.

Es macht nichts, wenn du auf der Karte Tiradito und Tataki verwechselst. Kaum einem Gast wird es auffallen, und wer es bemerkt, gehört wohl ohnehin nicht zur Zielgruppe deines Lokals. Wenn du dann das Lachstiradito genannte Lachstataki servierst, stelle sicher, dass die Stücke möglichst unregelmäßig sind, damit alle sicher sein können: Sie sind hier nicht in Japan. Rufe den Gästen immer wieder in Erinnerung, dass sie weiterhin im selben Lokal sitzen. Am besten dekorierst du also jeden Gang gleich. Nimm dafür zum Beispiel Algenstücke und Karottenfitzel. Ein hoher Wiedererkennungswert ist damit garantiert, kaum ein Mitbewerber wird je auf diese Idee kommen.

Pisqu

Wenn du Melanzani mit Misoglasur garst, achte darauf, dass ihre Haut dabei so zäh wird, dass man sie übriglassen muss. Man wird es dir später sicherlich danken, es kommen ja noch ein paar kleine Gänge.
Hilf deinen Gästen, all die Kalorien gleich wieder zu verbrennen. Lass sie mit einer Gabel auf den Bun mit Schweinsbauch einstechen, er sollte spielend widerstehen können und ohne vollen Krafteinsatz keinen Millimeter weichen. Dafür lass den Bun einfach stundenlang antrocknen.
Befolgst du all das gewissenhaft, erledigt sich damit auch das Problem mit etwaigen Stammgästen. Die sind ein wirklich lästiges Relikt vergangener Zeiten und nehmen Neukunden nur die Plätze weg. 

Pisqu

Große Pfarrgasse 5, 1020 Wien
Tel.: +43/01 2129605

Di–Do: 17–23, Küche: 18–22
Fr-Sa: 17–2, Küche: 18–22

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