Biodiversitäts-Strategie: Interessen, Politik und sehr viel Geld

Theo Kunst
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Wie kann der dramatische Schwund der Artenvielfalt gebremst und umgekehrt werden? Diese Frage will eine Strategie beantworten, die allerdings noch im Netz der Politik gefangen ist.

Die Bestandsaufnahme ist unstrittig: Österreich ist keine Insel der Seligen, es gibt ein massives Problem. 44% der Lebensraumtypen sind in einem ungünstig-schlechten Erhaltungszustand, 35% in einem ungünstig-unzureichenden Zustand. Weniger als ein Viertel der Lebensraumtypen im Wald werden als nicht gefährdet eingestuft. Nicht anders bei Flora und Fauna sind. Hohe Prozentsätze der Arten gefährdet. Es sprengte den Rahmen, hier auf die detaillierten Situationen einzugehen. Stellvertretend seien Vögel genannt – ein Viertel jener 270 Arten, die durch die Vogelschutz-Richtlinie der EU erfasst sind, weisen in Österreich einen negativen Populationstrend auf.

Was dagegen zu unternehmen ist, ist weitgehend bekannt: Steffen Fritz, Wissenschaftler am Institut für Angewandte Systemanalysen (IIASA), hat am Donnerstag in einer Veranstaltung die Hauptursachen für den galoppierenden Artenschwund dargestellt: „Zu 50% wird er hervorgerufen durch die Landnutzung.“ Als großes Problem bezeichnet er auch den Einsatz von Pestiziden. Der Änderung des Klimas schreibt der Wissenschaftler sechs Prozent ein, ergänzt jedoch, dass dieser Anteil in den kommenden Jahrzehnten zunehmen werde. Sophie Zechmeister-Boltenstern, Forscherin an der Universität für Bodenkultur in Wien, streicht die Bedeutung des Bodens und dessen Zusammensetzung heraus. Für sie stehen deshalb bei der Landnutzung die Menge des Flächenverbrauchs, Boden, Wald und Moore im Mittelpunkt.

Es gibt eine Biodiversitäts-Strategie der EU, die erforderlich macht, dass jedes Mitgliedsland ein entsprechendes nationales Papier zu diesem Thema erarbeitet – und mit Umsetzung eines Aktionsplans Verbesserungen des Zustands möglich macht.

Das ist der Hintergrund, vor dem die österreichische Biodiversitäts-Strategie 2030+ seit einem guten Jahr verhandelt wird, nachdem in einem breit aufgestellten Verfahren Tausende Stellungnahmen gesammelt worden sind. Die Biodiversitätskommission, welche das Wording der Strategie konkretisieren sollte, ist gestern zum letzten Mal zusammengetreten und haarscharf an einem Eklat vorbeigeschrammt.

Knapp am Eklat vorbei

Obwohl vereinbart war, während der Verhandlungsphase keine öffentlichen Aussagen zum Thema zu machen, war die Landwirtschaftskammer Österreich ausgeschert und hatte eine Aussendung in die Redaktionen verschickt, die mit „Biodiversitätsstrategie gefährdet Versorgung und Umweltschutz“.

Stein des Anstoßes waren fachlich völlig unstrittige Maßnahmen, die sich positiv auf den Schutz der Artenvielfalt auswirken: Verringerung des Risikos durch Pestizide oder ein Mehr an streng geschützten Gebieten (in Österreich derzeit 1,7% der Landesfläche), um nur zwei Beispiele zu nennen. Eine Gefährdung der landwirtschaftlichen Versorgung wäre durch eine Brache auf ein bis drei Prozent der Ackerflächen kein Problem – etwa die Hälfte der Äcker „produziert für Trog und Tank“, also für Futter und Bio-Treibstoffe.

„Es ist eine Erfahrung, die in dieser Art völlig neu war“, meint ein Wissenschaftler zu den Verhandlungen über das Strategiepapier. „Wir mussten uns rechtfertigen für Fakten, die in der Fachwelt völlig unstrittig sind.“ Im Zuge der Treffen der Kommission in Plenar-Sitzungen und Workshops wurden diese Fakten herunter gehandelt.

Martin Wildenberg, bei „Global 2000“ zuständig für nachhaltigen Konsum und Produktion, Biodiversität und Landwirtschaft: „Teilweise war es so wie zu Beginn der Klimadebatte. Alles wurde in Zweifel gezogen. Wildenberg war einer der Vertrerinnen von NGOs in der Kommission.

Zu einem Kompromisspapier ist es dann doch nicht gekommen. Die Geschäftsordnung der Biodiversitäts-Kommission hätte die Zustimmung von zwei Drittel der Mitglieder erfordert, die war nicht mehr sicher. Vertreterinnen der Landwirtschaft und Grundeigentümer haben sich gegen den Text ausgesprochen, bei Landwirtschaftsministerium, Bundesländern und Gemeinden war ein Stimmverhalten jedenfalls nicht sicher. Ländern und Gemeinden ging es darum, nichts von Kompetenzen abzugeben und möglichst wenig Verpflichtungen einzugehen. Darauf deutet eine Wortmeldung hin: „Es ist nicht klar, wie im Detail die Position aller Länder aussieht. Aber es ist davon auszugehen, dass sie skeptisch sind.“

Der Ball liegt nun im Umwelt- und Klimaschutzministerium: Hier wird die Strategie finalisiert und dann in direkten Verhandlungen versucht, etwaige Interessenskonflikte zu lösen. Im luftleeren Raum geschieht dies nicht: Österreich agiert im europäischen Kontext (und ist mit der Strategie bereits in Verzug). Die weitere Versäumnis ist nicht nur peinlich, sondern kann auch viel Geld kosten. Denn ein Teil der 3,5 Milliarden Euro, die Österreich aus der „Recovery Resilient Facility“ (zur Abfederung der Pandemie-Folgen) bekommen kann, sind für Maßnahmen zur Verbesserung der Biodiversität reserviert.

Das Geld aus Brüssel fließt allerdings nicht bedingungslos: Voraussetzung ist, dass Österreich eine akkordierte Biodiversitäts-Strategie vorweisen kann, um daraus konkrete Maßnahmen und Projekte zu ergreifen. Deren Umsetzung ist – entsprechendes Monitoring vorausgesetzt – dann förderungswürdig.

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