Es begann vor 150 Jahren, heute renoviert die Firma das Parlament.
Dies ist die Schilderung einer beispielhaften Industriegeschichte. Der Name der Firma hat auch heute noch einen guten Klang: Pittel & Brausewetter.
Eine österreichische Baufirma, gewiss.Aber eine besondere. Man verließ sich auf solide Arbeit, holte sich keine Investoren von außen herein, keine Oligarchen, und überdauert so schon 150 Jahre. Es waren zwei unternehmerische Niederösterreicher, die um 1870 ihre Firmen fusionierten: der Zement- und Kunststeinproduzent Adolf von Pittel aus dem Triestingtal und der Bauingenieur Victor Brausewetter aus Preßburg. Dort, im damaligen Oberungarn der k.u.k. Monarchie, machten die Firmengründer erste Erfahrungen mit dem Bau großer Kanalnetze. So kamen sie schließlich auch in der Reichshaupt- und Residenzstadt Wien ganz groß heraus. In der Ära des bedeutendsten Bürgermeisters dieser Stadt, Karl Lueger, war Pittel & Brausewetter an unzähligen prominenten Bauaufträgen beteiligt. In der damals sechstgrößten Stadt der Welt mit ihren zwei Millionen Einwohnern gab es genug zu tun. Es ging stetig aufwärts: Bei Beginn des Ersten Weltkriegs hatte die Firma 21Standorte.
Freilich: Da reichte der Kanal dem florierenden Bauunternehmen schon längst nicht mehr. Im Hochbau waren erstmals mit dem Stahlbeton Gebäude möglich, an die frühere Generationen nicht zu denken gewagt hatten. Wohn- und Geschäftshäuser in der Wiener Innenstadt zeugen noch heute davon: In der Rauhensteingasse (Nr. 10) oder in der Wollzeile (Nr. 17) kann man sich davon überzeugen, auch in der Schleifmühlgasse (Nr. 3). Abgerissen hingegen wurde in unseren Neunzigerjahren das traditionsschwangere Druck- und Verlagsgebäude Herold in der Strozzigasse, in dem eine Zeit lang „Die Presse“ und viele andere Zeitungen gedruckt wurden.
Skandal um das Loos-Haus
Pittel & Brausewetter war aber auch am „Bauskandal“ am Michaelerplatz beteiligt. Leopold Goldman und Emanuel Aufricht, Geschäftsführer des nobelsten Wiener Herrenausstatters Goldman & Salatsch, beauftragten 1909 den skandalumwitterten genialen Architekten Adolf Loos, am Eck Kohlmarkt/Herrengasse ein fünfstöckiges Haus zu errichten, das in den unteren Etagen der Maßschneiderei dienen sollte, darüber Mietzwecken. Schon während des Baus, der bis 1912 dauerte, regten sich erste empörte Stimmen: Loos verpasste dem Haus eine völlig glatte schmucklose Fassade. Der Aufschrei war groß. Das Stadtbauamt drohte mit Strafen. Erstaunlich, denn davor war ja schon Otto Wagners Postsparkasse erbaut worden, ebenso die futuristische Secession. Aber so etwas – im Herzen der Stadt! Zähneknirschend musste Loos schließlich kupferne Blumentröge unter den Fenstern der oberen Stockwerke anbringen lassen...
Nach zwei Weltkriegen brachen für Baufirmen goldene Zeiten an. Der Wiederaufbau schuf viele Möglichkeiten, aber auch die zunehmende Motorisierung. Es war der Experte Leopold Heinlein, der den Straßenbelag aus Beton erfand und damit seiner Firma ungeahnte Projekte verschaffte, vom Wiener Gürtel über den Ausbau der Triester Bundesstraße B17, über West- und Südautobahn bis zu kleinsten Bundesstraßen in der Provinz. Das jüngste Vorzeigeprojekt ist der Totalumbau des Parlamentsgebäudes – ein würdiger Markstein in der Geschichte dieser Wiener Firma.
„Pittel & Brausewetter.
150 Jahre Bauen im Zentrum Europas“,
Brandstätter-Verlag,
295 Seiten, 40 Euro
("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.04.2022)