Kunstlicht, Fernreisen und Thermostate in städtischen Steinwüsten: Unsere Lebensweise hat Tag und Nacht, Sommer und Winter nivelliert. Ist ein Zurück zur Natur und ihren Zyklen möglich? Ein paar Gedanken – und vier Porträts von Menschen, die dank ihrer Berufe die Jahreszeiten noch hautnah erleben.
Tausende von Berlinern eilten herbei, als 1888 der Boulevard Unter den Linden erstmals elektrisch beleuchtet wurde. „Wie lichter Vollmond“ ruhte die künstliche Helle auf den Bäumen, schwelgten die Journalisten in poetischem Überschwang, und „wie Gestirne“ erschienen ihnen die „leuchtenden Kugeln“. Nun gab es „keine düsteren Winkel“ mehr, die nächtlichen Gefahren schienen gebannt. Andere aber warnten vor dem Ausschalten der Nacht. Wie schon früher, bei den ersten Gaslaternen: Sie seien ein Frevel gegen den „göttlichen Weltenplan“, wie 1819 eine Kölner Zeitung schrieb.
Statt um Gott geht es heute um die biologische Uhr, den verlorenen Einklang mit der Natur. Und mit den Jahreszeiten – zumal uns ein garstiges Virus, das im Winter zuschlägt und das der Sommer in Schach hält, an ihre Macht erinnert. Aber die Ambivalenz ist geblieben: Es ist ja so praktisch, wenn wir unser Leben wohl temperieren, auf konstante 21 Grad. Es ist ja so toll, dass wir künftig wieder im Winter zum Palmenstrand jetten können und im Sommer über Gletscher wedeln. Aber jetzt, wenn die Natur ihr saisonales Comeback feiert, beklagen die Stadtbewohner in ihren Steinwüsten, dass sie davon fast nichts mitbekommen. Schon Rilke fühlte sich als Opfer des Urbanen: „Will dir den Frühling zeigen, der hundert Wunder hat“, aber ach: Er „kommt nicht in die Stadt.“