Die Rechtspopulistin Marine Le Pen hat mit einer Selfie-Kampagne als „bürgernahe“ Politikerin gepunktet. Kann sie Frankreichs Präsidenten, Emmanuel Macron, bei der Wahl gefährlich werden?
Kurz vor dem ersten Wahlgang am Sonntag herrschte nervöse Stimmung im Hauptquartier von Emmanuel Macron. Eigentlich waren seine wichtigsten Berater versammelt, um ihm zum Gelingen seiner (einzigen) großen Wahlveranstaltung am 2. April zu gratulieren. Nur Nicolas Sarkozys ehemaliger Minister Éric Woerth, der erst kürzlich hinzugekommen ist, verdirbt ein wenig die Stimmung mit seiner Frage: „Okay, aber was sagen wir zu Marine Le Pen?“ Die Rechtspopulistin könnte Macron nämlich gefährlich werden. In den letzten Tagen vor der Wahl hat sie in ihrer Aufholjagd Punkt um Punkt zugelegt. Im Élysée-Palast begann das Bangen.
Die letzten Umfragen haben das Selbstbewusstsein des gewöhnlich sehr siegesgewissen Präsidenten bereits (ein klein wenig) erschüttert. Zwar zweifelt niemand in seinem Team daran, dass er sich als erklärter Favorit aller bisherigen Wahlprognosen für die Stichwahl am 24. April qualifizieren wird. Doch es dürfte knapp werden, auch bei der voraussichtlichen Stichwahl in zwei Wochen. Die Aussicht auf eine Wahlenthaltung in Rekordhöhe von rund 30 Prozent schafft erneut Ungewissheit. Und laut der französischen Tageszeitung „Le Monde“ wussten zudem eine Woche vor dem 10. April von den Wählern 33 Prozent noch nicht definitiv, für welchen Kandidaten sie stimmen würden. Die Prognosen der Umfrageinstitute sind darum mit Vorsicht zu genießen.
Schreckensvision vor Urnengang. Zwei seiner Konkurrenten, der Linke Jean-Luc Mélenchon und vor allem die Rechtspopulistin Marine Le Pen, hatten am Ende ihrer Kampagne eine positive Dynamik, während Macrons Stimmenpotenzial im Vergleich zu den vorigen Wochen zurückging. Einige Medien spielten sogar mit der Idee eines eventuellen Wahlsiegs der Kandidatin vom Rassemblement National (RN), die Macron 2017 mit 66/34 sehr deutlich distanziert hatte. Marine Le Pen als Präsidentin Frankreichs? Was lang nur eine politische Fiktion war, wird unverhofft zur Schreckensvision für manche Wähler vor dem Urnengang.
Ein alter Slogan der Linken taucht aus der Vergangenheit von 2002 (als Jean-Marie Le Pen gegen Jacques Chirac antrat) auf und wird von der Macron-Kampagne aufgefrischt: „Tout sauf Le Pen!“ („Alles, bloß nicht Le Pen!“)
Mit dem Katastrophenszenario eines möglichen oder zumindest nicht völlig ausgeschlossenen Triumphs einer moskauhörigen extremen Rechten versuchten Macrons Kampagnenhelfer kurz noch vor dem ersten Durchgang, eine zögernde Wählerschaft zu mobilisieren. „Die Franzosen möchten doch nicht ihre Außenpolitik und die Streitkräfte einer Kandidatin anvertrauen, die pro Putin und antieuropäisch ist“, sagt Macrons Sprecher Gabriel Attal. Er erinnert so daran, dass Marine Le Pen 2017 von Wladimir Putin als bevorzugte Wunschkandidatin im Kreml empfangen wurde und einen Millionenkredit einer russischen Bank erhalten hat. Diese Nähe zum Kreml-Chef hat ihr im Kontext des Ukraine-Kriegs erstaunlicherweise kaum geschadet.