Leitartikel

In Kriegszeiten ist keine Zeit für Kleinkrieg

Die Politik bereitet sich auf ein Szenario ohne russisches Gas (oder mit viel weniger) vor.
Die Politik bereitet sich auf ein Szenario ohne russisches Gas (oder mit viel weniger) vor.(c) REUTERS (Denis Sinyakov)
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Was macht Berlin besser als Wien? Während in Deutschland die Regierung die Gaskrise als Argument für eine rasche Energiewende vorbringt, hängt Türkis-Grün im missgünstigen Klein-Klein fest.

Was ist undenkbar? Derzeit: nicht viel. In der Ukraine geschieht täglich etwas, was man vor Kurzem gern als „denkunmöglich“ bezeichnet hätte. Und auch in der Energiekrise im Gefolge des Kriegs muss man vorsichtig sein, was man ausschließt.

Derzeit hält die Politik zwar einen Ausstieg aus dem russischen Gas für „undenkbar“ – die Parteien sind da einiger als die Wirtschaftsforscher. Trotzdem bereitet man sich auf ein Szenario ohne russisches Gas (oder mit viel weniger) vor. Es läuft aber recht schlecht. Zum einen ist die Ausgangslage mies (hohe Abhängigkeit), zum anderen ist das Erarbeiten von Notfallplänen zur Energierationierung für verflochtene Industrien nicht trivial. Auch in Deutschland jammern Unternehmen, dass sie nicht wüssten, wer wann im Notfall wie viel Gas bekommt.

Dennoch klappt es in Berlin besser: Es gibt einen mittelfristigen Ausstiegsplan aus russischem Gas, man debattiert die Reaktivierung von Kohlekraftwerken (auch wenn die CO2-mäßig böse sind) und legt mit dem „Osterpaket“ ein Gesetzesbündel zur Beschleunigung der Energiewende vor. Und in Wien so? Während sich der grüne Wirtschafts- und Energieminister quer durch die Talkshows diskutiert und geschickt Energiesicherheit und Klimaschutz verknüpft, steht die heimische Energie- und Klimaministerin in der Kritik. Und ist selbst schuld. Robert Habeck sucht den Kontakt zur Industrie, Gewessler ist für ihre Gesprächsdistanz zu den fossilen Branchen bekannt. Und während sie gern spiegelglatt antwortet, teilt er seine Gedanken. Zwar ist nicht jeder catchy Appell (Frieren für den Frieden) effektiv, aber dass man einem Politiker auf die Schulter klopft, wenn er sagt: „Wir werden ärmer werden“, zeigt, wie ausgehungert die Öffentlichkeit nach schnörkellosen Ansagen ist.

Es liegt aber nicht nur an Personen. In Österreich ist jede Krise Gelegenheit, politisches Kleingeld zu wechseln, statt an einem Strang zu ziehen. Dass die ÖVP Gewessler wegen Überforderung die Energieagenden entziehen und der Wirtschaftsministerin übertragen will, ist semifein. Wenn Türkis das Thema so wichtig ist, warum hat man den Energiestaatssekretär aufgegeben? Die Gegnerschaft in der Koalition verhindert auch, dass die unerledigten Energie/Klimaschutzgesetze einen Schub erhalten. Denn auch wenn im Moment der Fokus auf „Energie – egal, woher“ liegt, ist Putins Krieg ein Argument für die Energiewende. Hier klagen die Grünen zu Recht, dass die ÖVP das Problem nicht als gemeinsames begreift, sondern als etwas, was nur aufs Grün-Konto einzahlt. Verschärft wird die (Un)Logik durch ein verbales Klima („Fossil-Lobby“ vs. „Bestrafungsfantasien“), in dem eine sachliche Debatte nicht gedeiht. Auch Medien tragen ihr Scherflein bei. Ein altgedienter Grüner fragte zuletzt, warum man es Gewessler durchgehen lasse, immer wieder dasselbe Gesetz neu anzukündigen. Er hat recht. Aber jenseits von Benzinpreis und Lobau sind Klimathemen schwer zu vermitteln. Für ein Erneuerbare-Wärme-Gesetz geht keiner auf die Straße. Daher: Ja, man muss lästiger sein. Und die Koalition erinnern, dass sie es schuldig ist, Kompromisse zu finden. Für die österreichische Frage, wer wo punkten konnte, ist keine Zeit.

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