Moskau

"Hat nichts mit Diplomatie zu tun": Skepsis vor Nehammers Reise

Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger befürchtet, dass das Treffen Russland mehr nutzt, als der Ukraine (Archivbild).
Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger befürchtet, dass das Treffen Russland mehr nutzt, als der Ukraine (Archivbild).IMAGO/SEPA.Media
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Grüne, Neos, SPÖ und Experten befürchten, dass Putin Nehammers Besuch für Propaganda-Zwecke nutzen könnte. Außenminister Alexander Schallenberg verteidigt das Treffen am Montag.

Bei den Grünen löst Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) mit seinem angekündigten Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin keine Begeisterung aus. Vorausgesetzt, die Reise sei mit der EU abgestimmt, "könnte es einen Versuch wert sein", reagierte Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) am Montag zurückhaltend. "Nicht gutheißen" will die Grüne Außenpolitik-Sprecherin Ewa Ernst-Dziedzic den Besuch bei Putin: "Das hat mit Diplomatie nichts zu tun."

Dass der Koalitionspartner keinen Applaus spendet, könnte auch damit zu tun haben, dass die Grünen dem Vernehmen nach erst aus den Medien von Nehammers Reiseplänen nach Moskau erfahren haben. Vor Journalisten hatte Nehammer am Sonntagnachmittag angekündigt, am heutigen Montag Putin zu einem Gespräch zu treffen und erklärt, die Reise mit den EU-Spitzen besprochen zu haben.

Grüne: „Hat nichts mit Diplomatie zu tun"

"Unter der Voraussetzung, dass die Reise des österreichischen Bundeskanzlers innerhalb der Europäischen Union abgestimmt ist, könnte es einen Versuch wert sein", meinte Kogler auf Anfrage in einer knappen schriftlichen Stellungnahme. "Klipp und klar ist: Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine muss sofort gestoppt, Kriegsverbrechen vollumfänglich aufgeklärt und humanitäre Korridore verlässlich geschaffen werden."

Deutlich kritischer äußerte sich die Abgeordnete Ernst-Dziedzic auf Twitter: "Nein, ich kann einen Besuch beim Putin nicht gutheißen", ließ sie wissen. "Das hat mit Diplomatie nichts zu tun. Das ist auch kein akkordierter Fahrplan für Verhandlungen. Putin wird das für seine Propaganda nutzen", fürchtet Ernst-Dziedzic.

Schallenberg: Treffen mit EU-Partnern besprochen

Außenminister Alexander Schallenberg hat das Treffen verteidigt. "Jede Stimme, die Putin verdeutlicht, wie die Realität außerhalb der Mauern des Kremls wirklich aussieht, ist keine verlorene Stimme", so Schallenberg am Montag vor einem Treffen mit seinen EU-Amtskollegen in Luxemburg. Das Treffen sei mit den "wesentlichen Partnern" abgesprochen worden.

Die Entscheidung für die Reise sei nach dem Besuch Nehammers beim ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskij und Kontakten mit dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz, dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan sowie der EU-Spitze - EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Ratschef Charles Michel - gefallen, erklärte Schallenberg. Unruhe unter den 27 EU-Staaten aufgrund von Nehammers Besuchs bei Putin sieht Schallenberg nicht. Österreich stehe "ganz klar" aufseiten des Völkerrechts, aufseiten der Europäischen Union.

"Wir müssen damit rechnen, dass die Brutalität des Kriegs in der Ukraine noch zunimmt, wir haben den starken Eindruck, dass Putin gerade die gesamte militärische Macht in den Osten wirft", sagte Schallenberg weiter. Bei dem Besuch Nehammers gehe es darum, "dass wir keine Möglichkeit ungenützt lassen wollen, jede Chance ergreifen müssen, um die humanitäre Hölle in der Ukraine zu beenden".

SPÖ: Gemeinsamer europäischer Weg wichtig

"Die Diplomatie hat nie geendet", betonte Schallenberg mit Verweis von Telefonaten zwischen EU-Staats- und Regierungschefs mit Putin. Aber es mache einen Unterschied, wenn man "von Angesicht zu Angesicht" einem sagt, "wie die Realität sich wirklich darstellt, dass dieser Präsident diesen Krieg de facto moralisch verloren hat, dass er sein Land in die Isolation führt". Auch gebe es eine "klare völkerrechtliche Verantwortung", so Schallenberg weiter. "Die Mühlen der internationalen Gesetzgeber und Gerichtsbarkeit mahlen langsam, aber sie mahlen", fügte er hinzu.

Skeptisch gab sich auch die SPÖ. "Dialog zu führen und mit allen im Gespräch zu sein, ist wichtig, aber genauso wichtig ist auch, ein klar definiertes Ziel für dieses Gespräch mit Putin zu haben und innerhalb der EU gut abgestimmt zu sein", meinte SPÖ-Europasprecher und Vizeklubchef Jörg Leichtfried am Montag in einer Stellungnahme. "Ich hoffe, dass diese Abstimmung mit den EU-Partnern auch erfolgt ist. Der gemeinsame europäische Weg darf jedenfalls nicht verlassen werden und dem Kanzler ist hoffentlich bewusst, dass das Risiko auch für den außenpolitischen Ruf Österreichs hoch ist", warnte Leichtfried. "Am Ende des Tages zählt, welches Ergebnis bei diesem Gespräch herauskommt."

FPÖ: „Persönlicher Rettungsplan" Nehammers

Die Strategie der österreichischen Regierung seit Kriegsbeginn sei weder nachhaltig noch durchdacht, meinte FPÖ-Chef Herbert Kickl, dessen Freiheitliche als traditionell russlandfreundlich gelten. "Erst die Sanktions-Einpeitscherei, dann das überfallsartige Ramponieren der Neutralität, dann die mit der Neutralität in Widerspruch stehenden Solidaritätsbesuche bei Selenskij und Klitschko - und jetzt geht's plötzlich nach Moskau", meinte Kickl in einer Aussendung. Es dränge sich der Verdacht auf, "dass nicht das ehrliche Bemühen um ein Ende des Krieges und um die Interessen der Österreicher in dieser Krise im Mittelpunkt steht, sondern der innenpolitisch motivierte, persönliche Rettungsplan des Herrn Nehammer", vermutete Kickl.

Es sei zu hoffen, "dass Nehammer bestens vorbereitet und nicht Hals über Kopf in das Gespräch mit Putin geht, damit nicht weiterer Schaden für Österreich entsteht", meinte Kickl. Entscheidend sei der Versuch, "die Kriegsparteien an einen Tisch zu bringen, eventuell auch österreichische Diplomaten als Mediatoren einzusetzen".

Mangott: „Besuch ist keine kluge Entscheidung"

In der "ZiB 2" am Sonntagabend hatte der Russland-Experte Gerhard Mangott von der Uni Innsbruck harsche Kritik an der Visite Nehammers in Moskau geübt: "Ich halte diesen Besuch für keine kluge Entscheidung." Auf einen Brückenbauer habe in der EU keiner gewartet, die Osteuropäer kritisierten diesen Schritt bereits scharf, meinte Mangott. Russlands Präsident Putin habe die Macht über die Bilder dieses Besuches und werde diese zu nutzen wissen, warnte er. Nehammer werde Putin Bilder verschaffen, die sagen: "Ich bin nicht isoliert, es gibt Länder im Westen, die mit uns kooperieren."

Der Besuch Nehammers beim russischen Präsidenten dürfe nicht dazu führen, dass Österreich den gemeinsamen europäischen Weg verlässt, kommentierte Sonntagabend die Neos-Vorsitzende Beate Meinl-Reisinger in einer Aussendung. "Insgesamt besteht die Sorge, dass das Treffen Putin letztlich mehr nutzt als der Ukraine. Schließlich kam es schon vor, dass sich Österreichs Politiker vor den russischen Propaganda-Karren spannen ließen", erklärte sie.

Kein Regierungschef seit Kriegsbeginn in Moskau

Nehammer war erst vergangenes Wochenende mit einem Journalistentross nach Kiew gereist, um dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskij seine Solidarität zu versichern. Nach seiner Rückkehr kündigte er Sonntagnachmittag vor Journalisten an, auf seine eigene Initiative auch Putin zu treffen. Unter anderem habe er Selenskij und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen von seinen Reiseplänen informiert, sagte Nehammer. Seit Kriegsausbruch war kein Regierungschef aus der EU bei Putin in Moskau, es gab nur telefonischen Kontakt.

Noch Sonntagabend wollte der Kanzler - diesmal ohne Medienbegleitung - seine Reise über die Türkei nach Moskau antreten. Das Gespräch mit Putin soll am Nachmittag stattfinden. Es gehe um Dialogmöglichkeiten zwischen Selenskij und Putin, einen Waffenstillstand und humanitäre Korridore. Nehammer kündigte auch an, er werde Putin gegenüber "nicht moralisch neutral" sein, er werde die "Kriegsverbrechen" in der Ukraine ansprechen, versicherte er. "Reden heißt nicht, seine Position aufzugeben", befand Nehammer, "ganz im Gegenteil, ich sage sie ihm (Putin, Anm.)".

(APA)

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