Jüdisches Museum

Wenn Hitler vor einem knien muss

Maurizio Cattelans Skulptur „Him“.
Maurizio Cattelans Skulptur „Him“.(c) Jüdisches Museum Wien
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Mit Cattelans kontroversieller Skulptur „Him“ ist Danielle Spera ein Coup gelungen. Ab Mittwoch ist „Er“ zu Gast in Wien.

Still und leise schlich sich das Böse ins Jüdische Museum ein, nicht auf Knien, wie man vermuten könnte, sondern in einer temperierten Transportkiste: „Er“, eines der kontroversiellsten Werke der Gegenwartskunst. Die täuschend echte Wachsfigur zeigt einen knienden Hitler mit betenden Händen, geschrumpft auf Kindergröße, Harmlosigkeit heuchelnd, in seiner ekligen Fragilität zur Welt gebracht 2001 vom italienischen Konzeptkünstler Maurizio Cattelan. Ein zutiefst verstörender Wiedergänger mit gar nicht leicht lesbarer Mission, der sich in der jüdischen Kunstsammlerschaft großer Beliebtheit erfreut. Was gar nicht so abwegig ist, wie es klingt – doch dazu später.

Die Geschichte ist zu reich – auch an Zufällen –, um sie nicht von Anfang an zu erzählen. Der scheidenden Direktorin des Jüdischen Museums, Danielle Spera, ist mit der Präsentation von „Er“ (im Original: „Him“) ein Coup gelungen. Dreimal wegen der Pandemie verschoben, reiht er sich jetzt mit der Ende Juni noch folgenden „Kosher Sex“-Schau in ihr Abschiedsdefilee ein. Schon 2018 hörte Spera in der Kunstmarkt-Dokumentation „The Price of Everything“ den US-Sammler Stefan Edlis über seinen Alltag mit Cattelans berühmter Hitler-Figur sprechen, in dessen typisch humorvollen Weise. Man gewöhne sich irgendwann an ein Leben mit „Ihm“, sagte er dort, dann mache „Er“ einem keine Angst mehr. Er erzählte von den starken Reaktionen seiner Gäste, wenn sie „Ihn“ in der Bibliothek kniend vorfänden. Vor all den jüdischen Autoren, die er dort sammle, und speziell im Blick die „Psychopathia Socialis“ des deutsch-österreichischen Psychiaters Richard Krafft-Ebing. Eine Art Insiderwitz: Dieses Buch gilt als eines der ersten über Homosexualität und war einst ein Geschenk von Edlis' Schwester.

Der kleine große Diktator

Denn die Familie stammte aus Wien, zu Speras großem Erstaunen. 1925 war Stefan Edlis dort geboren worden. Im allerletzten Moment war der Mutter mit den Kindern 1941 die Flucht gelungen. Der Vater war schon verstorben. Über Lissabon ging es per Schiff in die USA. Mit Plastikwerkzeug verdiente Stefan Edlis dort ein Vermögen und wurde mit seiner Frau Gael Neeson einer der spannendsten Sammler von Gegenwartskunst. Seinen mit einem roten „J“ abgestempelten Pass, mit dem er Wien verlassen musste, behielt er immer in der obersten Schreibtischschublade. Griffbereit.

Wenige Wochen, nachdem Spera den Film gesehen hatte, lernte sie im Museum zufällig ein Paar kennen. Die Frau entpuppte sich als Produzentin des Films. Sie stellte den Kontakt zu Edlis her. Eine lange Konversation per E-Mail begann. Edlis wollte seinen Pass dem Museum schenken, Korrespondenz und Bücher, darunter seinen Krafft-Ebing. 2019 verstarb er, bevor er selbst anreisen konnte. Speras Wunsch, Cattelans Hitler zeigen zu dürfen, schien vertan. Aber die Witwe sprang sofort ein, finanzierte die gesamte, sehr intime Ausstellung. Allein die Versicherung beläuft sich auf 20 Mio. Euro.

Jetzt kniet er also in Wien, der kleine große Diktator, von Edlis „Adolfino“ genannt. Er steht in Chaplins Tradition der respektlosen Verballhornung des Bösen, und dadurch seiner Bannung. Diese Form der Traumabewältigung faszinierte auch andere jüdische Kunstsammler: Die beiden anderen Exemplare von „Him“ sind ebenfalls in jüdischer Hand. Eines gehört Francois Pinault, das andere besaß erst Ydessa Hendeles, jetzt Mitchell und Emily Rales.

„Ihn“ jeden Tag vor sich knien zu sehen, ihn zu besitzen und trotz „Ihm“ ein erfülltes Leben gehabt zu haben – das sei für Edlis eine „Revanche“ an der Geschichte gewesen, vermutet der Künstler Cattelan. Er wird damit recht haben.

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