Die Forderung der künftigen Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou, die Wartefrist für Ausländer auf eine Gemeindewohnung abzuschaffen, schlägt hohe Wellen. Gemeindebauten viel zu spät für Zuwanderer geöffnet.
Wien/STU. Die rot-grüne Koalition, die am Donnerstag mit der ersten Sitzung des neuen Gemeinderats offiziell ihre Arbeit aufnimmt, hat den ersten Koalitionsstreit. Auslöser ist ein Interview der künftigen Vizebürgermeisterin, Maria Vassilakou, die in der „Presse am Sonntag“ erklärte: Sie sei für die Abschaffung der fünfjährigen Wartefrist für Ausländer auf eine Gemeindewohnung.
Wien habe außerdem die Gemeindebauten viel zu spät für Zuwanderer geöffnet – dadurch sei es zu Integrationsproblemen gekommen. Postwendend ließ Bürgermeister Michael Häupl via „Krone“ ausrichten: „Da ist das gute Herz von Frau Vassilakou wohl übergegangen.“ Es gelte, was im Koalitionsabkommen vereinbart wurde. Einige SP-Stadträte sollen auch verärgert darüber sein, dass sich die Verkehrs- und Planungsstadträtin in andere Ressorts einmische.
Die Opposition ließ es sich am Montag nicht nehmen, sich auf die Neo-Stadtregierung einzuschießen: „Rot-Grün ist noch nicht im Amt, und schon fliegen die Fetzen“, erklärte VP-Landesgeschäftsführer Alfred Hoch. FP-Klubchef Johann Gudenus und ebenso das BZÖ setzten nach: Vassilakous Forderung sei „ein Irrwitz“.
Die Grünen sehen Häupls Rüffel völlig entspannt, teilweise auch amüsiert. „SPÖ und Grüne sind keine Einheitspartei, und das soll man auch klar sehen können“, ist zu hören. Und: Die SPÖ müsse damit rechnen, dass die Grünen ihre Positionen darstellen, auch wenn das nicht im Koalitionspakt stehe. „Die Wartefrist war ein Punkt, den die SPÖ abgelehnt hatte. Es gab auch Forderungen der SPÖ, die wir bei den Koalitionsverhandlungen abgelehnt hatten.“ Nachsatz: „Nur weil etwas nicht im Koalitionspakt steht, ändern aber weder wir noch die SPÖ unsere Meinung“, ist zu hören. Vereinzelt meinen Grüne zur Häupl-Replik leicht verärgert: Es sei „langfristig sicher nicht sinnvoll, wenn wir uns alles über die Zeitungen ausrichten lassen“. Das Thema Ausländer im Gemeindebau sorgt also wieder für Kontroversen. Hier die Antworten auf die wichtigsten Fragen.
•Wieso bekommen Migranten eine Gemeindewohnung?
Eine EU-Richtlinie, die Österreich mit 2006 umsetzen musste, bedeutet (umgelegt auf Wien): Wer fünf Jahre im EU-Gebiet legal lebt, muss Anspruch auf eine Gemeindewohnung haben. In Wien gilt das aber nur für Personen, die von den fünf Jahren mindestens zwei in Wien leben.
•Wie viele Migranten leben im Wiener Gemeindebau?
Es gibt keine genauen Zahlen, weil das bei Wohnungsvergaben nicht geprüft wird. Schätzungen sprechen aber von einem Drittel.
•Wie viele Wohnungen gehen jährlich an Ausländer?
Pro Jahr werden zwischen 9000 und 11.000 der 220.000 Gemeindewohnungen neu vergeben. Etwa acht bis zehn Prozent davon gehen an Nicht-EU-Bürger.
•Es gab auch ohne EU-Richtlinie Ausländer im Gemeindebau. Dabei handelt es sich um Notfallwohnungen für alle, die kurzfristig vergeben werden – für Opfer von Wohnungsspekulanten, oder beispielsweise für Menschen mit kurzfristigem Wohnbedarf, weil deren Wohnung gesundheitsgefährdend (Feuchtigkeit, Schimmel), abgebrannt oder einsturzgefährdet ist.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.11.2010)