Putin-Besuch

"Politisch riskantes Unternehmen": Russland-Experten kritisieren Nehammer

Expertinnen und Experten sehen den Besuch des österreichischen Bundeskanzlers bei Wladimir Putin kritisch. Russische Staatsmedien sollen über eine „sensible Botschaft“ Nehammers spekuliert haben.

Mehrere Russland-Expertinnen und -Experten haben sich am Tag nach dem Besuch von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) beim russischen Präsidenten Wladimir Putin zurückhaltend bis skeptisch zur Reise geäußert.

Das Gespräch hätte nur dann einen Sinn gehabt, wenn Nehammer "eine sehr sensible, vertrauliche Botschaft" überbracht hätte, meint der ungarische Russland-Experte Zoltán Sz. Bíró. Da nach Angaben des Kanzlers jedoch ein Dolmetscher zugegen war, sei der Besuch seiner Ansicht nach "völlig sinnlos" gewesen, so der Historiker der Budapester Corvinus-Universität.

„Verstehe die Funktion des Treffens nicht"

Sz. Bíró schilderte, dass die regierungskritischen russischen Medien nach dem Treffen vom Montag spekuliert hatten, Nehammer könnte Putin, der gut Deutsch spricht, in deutscher Sprache unter vier Augen "wirklich schwerwiegende, sehr delikate" Dinge gesagt haben. Angesichts der Angaben des Kanzlers, dass Putin Russisch mit ihm sprach, "verschwindet aber diese Hypothese über eine sensible Botschaft - und ich verstehe die Funktion dieses Treffens nicht", kommentierte der Russland-Experte.

"Die russische Führung scheint sehr entschlossen zu sein", den Krieg in der Ukraine zu diesem Zeitpunkt weiterzuführen. Man könne sie daher nicht einfach zu einem Friedensschluss überreden - "schon gar nicht durch ein Land in der Größenordnung Österreichs". In dieser Situation könnte "selbst der amerikanische Präsident (Joe Biden) Putin nicht überreden", den Krieg zu beenden, meint der Historiker.

„Es ging ihm um ein Zeichen"

Emil Brix, Leiter der Diplomatischen Akademie Wien und früherer Moskauer Botschafter Österreichs meint gegenüber Ö1: "Es war den Versuch in jedem Fall wert. (...) Es war überraschend, dass man überhaupt von russischer Seite so einem Besuch zugestimmt hat. (...) Das war letztlich ein Beispiel dafür, dass Österreich in dieser Tradition der engen diplomatischen Beziehung mit Russland ist, die nicht ganz abbricht (...). Inhaltlich hat es keine Fortschritte gegeben, aber das ist auch von niemandem erwartet worden. Das war eine Episode, die nicht sehr lange in Erinnerung bleiben wird. (...) In Wirklichkeit hat man (Moskau, Anm.) derzeit kein Interesse an Verhandlungen."

"Ich glaube nicht, dass Karl Nehammer so naiv war, zu glauben, er könnte diesen Krieg beenden. Es ging ihm um ein Zeichen, ein Bemühen - (...) er möchte es zumindest versucht haben. (...) Es war ein politisch sehr riskantes Unternehmen. (...) Es war sicher auch ein Gedanke Wladimir Putins, mit Österreich einen Keil in die EU zu treiben, nämlich in diese Allianz gegen diesen Krieg“, sagt Kathrin Stainer-Hämmerle, Politologin, der „Blick.ch“.

„Es war ein aussichtsloses Unterfangen"

"Nehammer hat nichts erreicht. Ich sehe weder einen erkennbaren, noch einen vermutbaren Effekt auf die Handlungsweisen des Wladimir Putin. Dieser Besuch hat der Ukraine und dem Westen nichts gebracht, außer politische Verwerfungen innerhalb der Europäischen Union. (...) Die Beziehungen zwischen Wien und Moskau sind sehr angespannt wegen dieses Angriffskrieges - und zwar zu Recht, weil sich Österreich auf die Seite des Opfers Ukraine gestellt hat. Da hat Nehammer richtig gehandelt. Aber zu glauben, Putin in einem persönlichen Gespräch zum Nachdenken oder gar zum Einlenken zu bringen, ist wirklich illusionär“, erläutert Gerhard Mangott, Politologe, dem „Spiegel“.

"Ich sehe diesen Besuch als weniger sinnvoll an. Ich würde nicht sagen, dass es ein gravierender Fehler mit massiven Auswirkungen war (...), aber es war ein aussichtsloses Unterfangen. (...) Das war auch problematisch an dem Besuch, dass da mitschwingt: 'Ich gehe hin und sage ihm, was dort (im Kriegsgebiet in der Ukraine) passiert.' Aber Putin weiß das ganz genau. (...) Es zeigte eine gewisse Restnaivität bei Nehammer und anderen Akteuren. Es gibt ein Interesse, nach dem Krieg zum 'Business as usual' zurückzukehren. Für solche Besuche ist aber derzeit nicht der richtige Zeitpunkt“, findet Sebastian Hoppe, Politologe und Historiker an der Freien Universität Berlin.

(APA/red.)

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