Kino

Ein Film, der das Verlieben lehrt

Was sehen wir, wenn wir zum Himmel schauen?
Was sehen wir, wenn wir zum Himmel schauen?Polyfilm
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Eine georgische Stadt und zwei Verliebte, die in fremden Körpern erwachen: Das verspielte Filmmärchen „Was sehen wir, wenn wir zum Himmel schauen?“ sucht den Zauber in der Wirklichkeit.

Wie aus heiterem Himmel rempeln sich zwei Unbekannte auf der Straße an und vergucken sich ineinander. Diese Form entflammender Liebe nennt man im Kino Magic Moment. Selten aber war das mit der Magie so zutreffend wie in Alexandre Koberidses verzaubernd-lakonischem Filmmärchen „Was sehen wir, wenn wir zum Himmel schauen?“. Denn sobald Giorgi und Lisa aus dem georgischen Kutaissi, einer der ältesten Städte der Welt, von Schmetterlingen im Bauch beseelt werden, beginnt sich der Kreisel aus Verwünschungen und Zaubereien und sprechenden Wesen erst richtig in Bewegung zu setzen.

Die beiden jungen Erwachsenen werden vom sogenannten „bösen Blick“ heimgesucht und erwachen folglich am Morgen nach ihrer Begegnung in fremden Körpern. Hinzu kommt, dass sie jeweils ihre größten Talente verlieren. Lisa versteht plötzlich nichts mehr von der Pharmazie und Giorgi trifft beim Fußball keinen Ball mehr. Zu ihrer Verabredung erscheinen beide, nur erkennen sie einander nicht.

Wer bei dieser Beschreibung eine opulente Fantasy-Romanze vermutet, irrt gewaltig und hat trotzdem recht: In seinem international für Furore sorgenden Abschlussfilm an der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin schöpft Koberidse aus dem ganzen Spektrum filmischer Grammatik. „Was sehen wir, wenn wir zum Himmel schauen?“ ist Märchen, ethnographische Studie, Stadtsymphonie, Liebesfilm, Komödie und selbstreflexiver Kunstfilm zugleich.

Vor allem ist er zärtlich und verspielt. Unablässig büxt der Film aus seinen nur lose vorgezeichneten Wegen aus, um sich – den Zuschauern zublinzelnd – für das zu interessieren, was am Rand geschieht: die Stadt Kutaissi, deren fußballbegeisterte Straßenhunde, eine Eisdiele am Fluss, ein Passanten nach der Liebe befragendes Filmteam und eine fiktive Fußballweltmeisterschaft, bei der Fußballstar Messi endlich den Titel holt, der ihm im wahren Leben bislang enthalten blieb. Die Lust am Sehen und Hören und Träumen regiert. Die Handlung folgt keinerlei Hierarchien. Was immer den gewissen Zauber in sich trägt, ist filmenswert.

Und jetzt bitte die Augen schließen

Zum Beispiel folgt die Kamera dem Eisdielenbesitzer, der die Leinwand für das Public Viewing richtig ausrichten möchte. Je länger er sich nicht entscheiden kann und je abstrakter seine sich wiederholenden Ansagen wirken, desto näher kommen wir ihm. Aus der eigentlich banalen Handlung des Mannes filtert sich eine empathisch-absurde Poesie menschlichen Strebens nach Perfektion. Koberidse, der den Film selbst als Erzählstimme aus dem Off begleitet, nutzt dabei vor allem das Wechselspiel zwischen Nahaufnahme und Totale, Immersion und Distanz. Oft neigt sich die Kamera, entgegen dem Titel, zu Boden und verfolgt die Füße oder nach unten greifenden Hände. Es wirkt fast so, als wollten uns diese Einstellungen sagen, dass man nichts aus dem Himmel pflücken muss, um abzuheben. Die andere Welt findet sich, frei nach Paul Éluard, in dieser. Die Bilder geben passend dazu keinen Anlass, an einen „bösen Blick“ oder die Liebe zu glauben. Nur das Voice-Over und das Ungreifbare zwischen den Bildern lassen an die Magie glauben.

Ein falsches Spiel oder wahrhaftige Romantik? Wohl ein bisschen von beiden. Das alles lässt die Arbeit hie und da überfrachtet erscheinen, vor allem, wenn eigentlich liebevolle Szenen zu schlau sein wollen und der Film sich ironisch gegenüber seiner eigenen Wahrheit verhält. Einmal bittet der Erzähler die Zuseher, ihre Augen zu schließen. In diesem Sinn ist der Film auch ein Vertrauenstest. Kann man diesem Erzähler, kann man auch dem Kino noch trauen?

Daran hängt letztlich nicht nur, wie sehr man „Was sehen wir, wenn wir zum Himmel schauen?“ genießen kann, sondern auch, ob Giorgi und Lisa trotz aller Widerstände wider zueinander finden. Koberidse dreht Filme, um die Wirklichkeit zu intensivieren. In diesem passieren all die Dinge, die man sich im Leben erträumt, aber nur selten zu Gesicht bekommt. Das heißt nicht, so behauptet auch der Film, dass es derlei Magie nicht gäbe. Wir haben nur verlernt, sie zu sehen. Dieser Film hilft uns dabei, sie wieder zu entdecken, und vielleicht sogar, uns aus heiterem Himmel zu verlieben.

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