Logistik

Der lange Weg ins Kriegsgebiet

Hilfslieferung des Roten Kreuzes
Hilfslieferung des Roten Kreuzes(c) Svitlana Kuznetsova/ICRC
  • Drucken

Humanitäre Logistik. Bei der Lieferung von dringenden Hilfsgütern in die Ukraine kommt ein ausgeklügeltes System zum Einsatz.

Es sind verstörende Bilder von zerstörten Straßen, zerbombten Flugplätzen, ausgebrannten Geschäften und durchsiebten Lagerhäusern, wie jenes des Roten Kreuzes in Mariupol. Doch trotz widrigster Umstände und der Gefahr durch Beschuss werden täglich Tonnen an dringend benötigten Hilfsgütern in die Ukraine gebracht und an die Menschen verteilt. Damit Hilfsorganisationen im Ernstfall so rasch wie möglich agieren können, steht in Großlagern rund um den Globus eine Menge an Material jederzeit bereit.

Internationale Vernetzung

Logistiker, die wie beim Österreichischen Roten Kreuz fest angestellt sind, kümmern sich darum, dass Bewegung in die Lieferungen kommt. Mitarbeiter, die nicht permanent in Bereitschaft stehen, ergänzen das Team. „Wenn mitten in der Nacht irgendwo ein Erdbeben passiert, kommen sie einfach. Das ist unser Job“, sagt Martina Schloffer, stellvertretende Leiterin Einsatz und Internationale Zusammenarbeit beim ÖRK. Um Ordnung in ein sonst programmiertes Chaos zu bringen, sind die großen internationalen Hilfsorganisationen im Internet miteinander vernetzt. Seit etwa 15 Jahren gibt es ein sogenanntes Cluster-System, in dem Themen wie Unterkunft, Education oder Logistik in Gruppen zusammengefasst sind. Es ist unter www.logcluster.org öffentlich einsehbar und verrät interessante Details darüber, wie die Hilfsmaschinerie funktioniert. Schloffer: „Hier tauschen wir uns aus. Wo werden Lagerflächen benötigt oder stehen zur Verfügung? Wo ist noch Platz auf einem Lkw? Es arbeitet also nicht jede Hilfsorganisation allein vor sich hin. Man klärt ab, wer welche Gebiete eines Landes mit welchen Gütern abdeckt.“
Internationale Standards bei Inhalt und Gebindegrößen sorgen für den reibungslosen Versand. „Innerhalb des Roten Kreuzes haben wir dafür einen Katalog“, erklärt Schloffer. „In ihm wird eine betreffende Nummer ausgewählt, damit kennen alle weltweit Beteiligten die Spezifikationen dieses Hilfsguts. Dort werden alle Informationen über benötigte Arten an Material gesammelt. Danach meldet jeder Teil der Organisation ein, wer wie viel davon auf Lager hat, einkaufen und transportieren kann.“
Nachdem abgeklärt ist, welche Hilfsgüter wo und in welcher Menge benötigt werden, widmen sich Schloffer und ihre Kollegen größeren Logistikaufgaben: „Je nach Art der Katastrophe gibt es lokal diverse Nadelöhre, deshalb muss man die zeitliche Abfolge sehr genau bedenken.“
Hier kommen Speditionen wie Kühne+Nagel ins Spiel, die im Fall des Ukraine-Krieges kostenlose Logistik-Dienstleistungen im Wert von mehr als neun Millionen Euro, meistens in Form von Lkw-Fahrten, zur Verfügung gestellt haben. Dabei wurden unter anderem aus einem Unicef-Lager in Dubai mit einem der größten Transportflugzeuge der Welt – einer Antonov An-124 – 111 Tonnen an Hilfsmaterial nach Polen gebracht und an große Organisationen übergeben. Die Lieferungen werden in Großlagern, wie im ungarischen Debrecen unweit der Grenze zur Ukraine, zwischengeparkt. „Dort schichten Mitarbeiter die Güter um und leiten sie mit kleineren Transporten in die Zielgebiete weiter“, erläutert Schloffer.

Nadelöhr letzte Meile

Die „Last Mile“ im Kriegsgebiet ist die schwierigste. „Alle großen Lager, wie in Lwiw, sind derzeit voll. Sehr viel ist auf dem Weg, ganz viel ist in den verschiedensten Lagern in der Ukraine. Nur in der Transportlinie geht es einfach zu langsam, da sich die Verteilung im Land verzögert. Es ist sehr schwierig, viele Gebiete zu erreichen, in denen aktive Kämpfe stattfinden. Dort werden Hilfsgüter aber am dringendsten benötigt“, umreißt die Expertin die größte Herausforderung. Ob eine Lieferung durchkommt, hängt von der Mithilfe der kämpfenden Parteien ab. Mitarbeiter des lokalen Roten Kreuzes legen die exakte Zeit und Strecke fest, die befahren werden soll – ohne eine gewisse Vertrauensbasis läuft nichts. Die Verteilung vor Ort erfolgt ebenfalls durch lokale Mitarbeiter. Schloffer stellt sich auf einen langen Einsatz für die Ukraine ein: „Auf jeden Fall länger als zwei Jahre nach dem Ende der Kampfhandlungen. Danach folgt der Wiederaufbau. Das wird sehr lang dauern, da so viel zerstört wurde.“ Bis Ende März hat das ÖRK übrigens Hilfsgüter im Wert von etwas mehr als zwei Millionen Euro in die Ukraine gebracht.
Für Privatpersonen, die Bekannte, Familie oder Freunde im Kriegsgebiet haben und Hilfspakete versenden wollen, übernimmt das derzeit die Österreichische Post kostenfrei. Pakete bis maximal 30 kg und zu einem Wert von 100 Euro können – mit der Aufschrift „Humanitarian Aid Ukraine“ – ohne Porto in jeder Post-Filiale aufgegeben werden.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.