Leitartikel

Alles um des lieben Friedens willen? Es gibt noch Schlimmeres als Krieg

„Die Waffen nieder“ oder „Stoppt Putin“? Die Friedensapostel wissen nicht mehr, was sie wollen. Doch ein gereifter Pazifismus wäre mehrheitsfähig.

Traditionen sind etwas Feines. Zu Ostern gehören Eier, Hasen, Nester – und Ostermärsche. Nie gehört, ihr jüngeren Leser? Bis zum Ende des Kalten Kriegs zogen jedes Jahr zu Ostern friedensbewegte Bürger durch die Straßen, Hunderttausende in Deutschland, nicht ganz so viele in Österreich. Diese Kundgebungen haben nie aufgehört, aber zuletzt gingen immer weniger hin. Love and peace? Soldaten sind Mörder? Um nicht ganz gestrig zu wirken, skandierten die schütteren Häufchen lieber Parolen für Klimaschutz und Flüchtlinge. Der Krieg war in unseren Wohlfühlgesellschaften dem Vorstellungsvermögen entglitten. Wir nahmen ihn nur noch auf Kinoleinwänden wahr, in weiche Polsterstühle versunken, oder flüchtig in Kurznachrichten über ferne, fremde Weltgegenden. Damit geriet auch der Pazifismus in Vergessenheit, während er – nur scheinbar paradox – in Europas Realpolitik seine größten Triumphe feierte: Stetig sinkende Verteidigungsbudgets, davon hätten die Gegner des Nato-Doppelbeschlusses kaum zu träumen gewagt.


Jetzt ist plötzlich alles wieder da, der Kreml zwingt es uns auf: Krieg in der Nähe, grausige Bilder von zerbombten Häusern und Massengräbern, verlogene Propaganda, wüste Drohungen, rasante Aufrüstung – und der Pazifismus? Es gibt wieder Demonstrationen für den Frieden, mit großer Beteiligung, aber noch größerer Konfusion. Zum alten Banner „Die Waffen nieder“ gesellt sich „Stoppt Putin“, ja sogar „Waffen für die Ukraine“. Also was nun? Um bedingungslose Gewaltlosigkeit scheint es da vielen nicht zu gehen.

Hinter dem Dilemma steht die Frage: Womit lässt sich die Situation vergleichen, mit 1914 oder 1939? Der Erste Weltkrieg war ein allseitig sinnloses Schlachten, ausgelöst durch die Dummheit und Eitelkeit von Monarchen, befeuert vom überhitzten Nationalismus der Massen. Das machte die Idee plausibel, dass Krieg immer nur neuen Krieg gebiert, ein absolutes Übel sei. Durch nichts zu rechtfertigen, auch nicht durch Werte, die es zu verteidigen gelte – wobei man damals noch an so Verstaubtes wie Ehre und Vaterlandsliebe dachte. Wo sich die Demokratie hielt, machte sich Pazifismus breit, eine tiefe Sehnsucht nach Frieden um jeden Preis. Noch 1938 jubelten die Engländer ihrem Premier Chamberlain zu, der unter dem Motto „Peace in our time“ Hitler in München die wehrlose Tschechoslowakei auslieferte. Aber innerhalb eines Jahres drehte sich die Stimmung. Allen wurde klar, dass sich die freie Welt gegen die Aggression der Nazis wehren musste, mit der verhassten Waffe in der Hand.

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