Gastkommentar

Wenn Putin glaubt, er hat nichts mehr zu verlieren . . .

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Wirtschaftliche Sanktionen können wirksam sein. Der Westen sollte sie im russischen Angriffskrieg aber mit Bedacht einsetzen.

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Nach dem russischen Abzug aus Butscha erreichten uns grauenhafte Bilder, die den Druck auf den Westen verstärken, mehr Waffen in die Ukraine zu liefern, und auch Europa unter Zugzwang bringen, Energieimporte aus Russland zu verbieten. Doch abgesehen von der berechtigten Frage, ob Europa bereit ist, im Namen der Ukraine einen derart hohen Preis zu bezahlen, haben wir uns der bitteren Realität zu stellen, dass es sich bei Sanktionen kaum um ein Allheilmittel handelt.
Forderungen nach Sanktionen gab es schon lang vor der Invasion. Als Russland Truppen in der Nähe der ukrainischen Grenze zusammenzog, drängte die ukrainische Regierung – und manche amerikanischen Kongressabgeordneten – die USA und Europa, präventive Sanktionen zu verhängen und der Ukraine umfassendere Sicherheitsgarantien zu bieten. Doch die westlichen Führungen sträubten sich mit dem Argument, dass Sanktionen ihre Möglichkeiten einschränken würden, eine diplomatische Lösung zu erreichen.

Hinterher ist man immer klüger. Heute wissen wir, dass diplomatische Bemühungen vergebens waren. Wir wissen jedoch nicht, ob präventive Sanktionen Wladimir Putin dazu veranlasst hätten, seine Pläne zu überdenken, zumal derartige Sanktionen höchstwahrscheinlich nicht so massiv gewesen wären wie das Maßnahmenpaket, das nach dem Einmarsch des Kreml verhängt wurde.

Umfassend und gut koordiniert

Bei diesem Paket handelt es sich schließlich um die umfassendste und am besten koordinierte Strafmaßnahme, die seit dem Zweiten Weltkrieg gegen eine bedeutende Macht ergriffen wurde. Nach anfänglichen Vorbehalten schloss sich die EU den USA an und schnitt die russischen Banken innerhalb weniger Tage von den weltweiten Finanzkreisläufen ab. Zudem fror der Westen auch einen Großteil der Devisenreserven der russischen Zentralbank ein – ein beispielloser Schritt, der in China mit seinen 3,25 Billionen Dollar an offiziellen Reserven sicherlich die Alarmglocken schrillen ließ.

Zunächst schienen die Sanktionen gut zu wirken. Innerhalb einer Woche fiel der Rubel gegenüber dem US-Dollar um ein Drittel. Abstürzende Aktienkurse zwangen die Behörden, den Handel an der Moskauer Börse für fast einen Monat auszusetzen. Es wird mit einer Kontraktion des russischen BIP um zehn bis 15 Prozent gerechnet. Doch obwohl die Sanktionsschraube immer fester angezogen wird, scheinen sich die russischen Märkte zu stabilisieren. Aufgrund des entschlossenen Eingreifens der Behörden notiert der Rubel mittlerweile wieder in der Nähe seines Vorkriegsniveaus, und der Aktienmarkt hat einige Verluste wettgemacht. Da keine Anzeichen für ein Abklingen der Gewalt bestehen, müssen sich die westlichen Regierungen darüber im Klaren sein, was Sanktionen bewirken können und was nicht.

Sanktionen wurden schon im Peloponnesischen Krieg eingesetzt, seit etwa 2500 Jahren sind sie ein Instrument der Außenpolitik. Auch wenn sie mit der Zeit an Raffinesse gewonnen haben, blieb der grundlegende Mechanismus immer derselbe: Dem Zielland wird wirtschaftlicher Schaden in einem Ausmaß zugefügt, der es zu einer Verhaltensänderung zwingen soll.

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