Nach der Wende schrumpfte die deutsche Bundeswehr an die Grenze der Einsatzfähigkeit. Mit dem Schock des Kriegs begann ein Umdenkprozess. Die „Zeitenwende“ weg vom Pazifismus ist noch nicht ganz vollzogen.
Wer das Ausmaß dessen beschreiben will, was gerade in Berlin passiert, kann mit Anton Hofreiter beginnen. 52 Jahre alt, studierter Biologe, wird zum linken Flügel der deutschen Grünen im Parlament gezählt, schulterlanges Haar. Wie Anton Hofreiter sehen im Stereotyp jene Deutschen aus, die der Friedensbewegung zugerechnet werden. Der Grüne redete auch wie einer: Keine Waffen für die Ukraine. Ein Konflikt lässt sich nie militärisch lösen. Das sagte Anton Hofreiter vor fünf Jahren.
In diesen Tagen steht derselbe Mann neben denen, die deutsche Panzer, Haubitzen und allerlei schweres Kriegsgerät nach Kiew schicken wollen, damit es dort auf die russische Armee feuern kann. „Es fällt mir überhaupt nicht leicht, schwere Waffen zu fordern, aber es ist so ein brutaler Vernichtungskrieg“, sagt Hofreiter nun.
Wer das Ausmaß dessen sichtbar machen will, was in Deutschland passiert, kann auch zwei Umfragen nebeneinanderlegen. Als die deutsche Regierung im Jahr 2014 ein Tabu brach und kurdischen Kämpfern Tausende deutsche Sturmgewehre, Panzerabwehrraketen, Pistolen und Handgranaten schickte, um gegen die jihadistische Terrormiliz Islamischer Staat (IS) zu kämpfen, sprachen sich je nach Institut zwischen 60 und 80 Prozent der Befragten dagegen aus. Vor Kurzem fragte Forsa für RTL und NTV ab, wie die deutsche Bevölkerung dazu stehe, viel schwereres Kriegsgerät an die Ukraine zu liefern. Rund 55 Prozent waren dafür.