Leopold-Museum

Bei Kubin ist das Grauen herrlich

Alfred Kubins „Der Mensch“, um 1902, aus dem eigenen Bestand des Leopold-Museums.
Alfred Kubins „Der Mensch“, um 1902, aus dem eigenen Bestand des Leopold-Museums.
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Eine große Ausstellung zeigt den abgründigen Zeichner im Umfeld seiner Inspirationsquellen. Ein plakativer, oft skurriler Trip in die schlechteste aller Welten.

Der Mensch“: Programmatischer könnte ein Bildtitel nicht sein. Man sieht auch sogleich, was dem armen Menschlein widerfährt: Es saust, fixiert auf Rädern und Geleisen, unaufhaltsam in die Tiefe, wo sich die vorgeschriebene Bahn im unbekannten Nichts auflöst. „Jeder findet, was ihm zukommt“, erklärte Alfred Kubin seine selbst gewählte Weltsicht: „Schicksal ist alles! Daher bin ich Fatalist.“ In diesem Hotel Abgrund richtete er sich später recht behaglich ein, als allseits hofierter Zeichner in seinem Innviertler Idyll. Doch schon hier, im famosen Frühwerk um 1900, in dem der Stachel des in der Jugend Erlittenen noch tief gesessen ist, hat das Grauen auch etwas Ironisches, fast Fideles: Die Rutschpartie erinnert an eine Achterbahn, einen Ort des Vergnügens. „Tiefer erblicke ich das Wunder“, stellte Kubin einmal fest, „dass das Grauen herrlich, dass der Abgrund ewig lockend ist.“

Es ist ein Vorzug der großen Kubin-Ausstellung im Wiener Leopold-Museum, dass sie diese Ambivalenzen sichtbar macht, implizit am inszenierten Mythos kratzt – auch wenn das wohl nicht die Absicht von Kurator und Direktor Hans-Peter Wipplinger war. Die populäre Vorstellung ist ja die: Kubin als Solitär, der aus den Tiefen seines Unbewussten die schrecklichen Traumgesichte schöpfte, spontan und ungefiltert wie später die Surrealisten, und innere Dämonen mit dem Strich seiner Tinte bannte. Wipplinger hat einen Psychoanalytiker beigezogen, um diese Fährte zu verfolgen. Aber sie bleibt blass, sieht man von einigen Blättern ab, wo sich die Traumata der Jugend bestürzend aufdrängen. Sie zeigen den Vater, der mit dem Leib der verstorbenen Mutter verzweifelt durch die Wohnung tanzt. Oder furchterregende schwangere Frauen, die daran erinnern, dass Kubin als Elfjähriger von einer solchen genotzüchtigt wurde.

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