Ukraine-Krieg

Ein Stahlwerk als letzte Zuflucht in der belagerten Stadt Mariupol

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Nicht nur Soldaten, auch Frauen und Kinder sollen sich auf einem Fabriksgelände in Mariupol versteckt haben. Die Ukraine fordert von Russland eine Fluchtpassage.

Kiew. Es ist seit Tagen umkämpft, das Stahlwerk Asowstal in Mariupol. Nicht zuletzt, weil sich hier auch zahlreiche ukrainische Soldaten verschanzt haben, die sich weigern, sich den russischen Truppen zu ergeben. Aber es sollen nicht nur Soldaten sein, die hier Zuflucht vor den Angriffen der russischen Truppen gesucht haben. Auch viele Zivilisten seien auf das Gelände geflohen, sagt Iryna Wereschtschuk. Die stellvertretende ukrainische Ministerpräsidentin fordert daher Russland auf, Fluchtkorridore aus Mariupol und aus dem Gelände des Stahlwerks in der Hafenstadt zuzulassen. Es müsste, so Wereschtschuk, schnell eine Passage für Frauen, Kinder und andere Zivilisten geschaffen werden.

Am Montag gab es wie bereits tags zuvor keine Fluchtkorridore für Zivilisten in den umkämpften Gebieten. „Aus Sicherheitserwägungen wurde heute die Entscheidung getroffen, keine humanitären Korridore zu eröffnen“, teilte Wereschtschuk am Montag mit. Die russischen Luftangriffe hätten inzwischen um mehr als 50 Prozent zugenommen, sagte Olexander Motusjanyk, Sprecher des ukrainischen Verteidigungsministeriums. Immer öfter seien auch Teile der Infrastruktur Ziele der Attacken. Die Lage in Mariupol, so der Sprecher, sei jedenfalls „extrem schwierig“.

Die russischen Truppen bereiteten nach ukrainischen Angaben ihre neue Offensive im Donbass vor. „Im östlichen Einsatzgebiet schließen die Streitkräfte der russischen Föderation die Bildung einer Angriffstruppe ab“, teilte der ukrainische Generalstab in seinem Lagebericht am Montag mit. Der Gouverneur des Gebiets Luhansk, Serhij Hajdaj, berichtete, russische Streitkräfte seien bis Kreminna vorgestoßen. Diese Stadt, um die seit eineinhalb Monaten gekämpft wird, ist ukrainischen Angaben zufolge der Brennpunkt der Gefechte.

Derzeit versuche das russische Militär, mit einzelnen Angriffen die Schwachstellen der ukrainischen Verteidigungslinien herauszufinden. So hätten die russischen Streitkräfte in der Nacht auf Montag weitere Angriffe auf Städte im Donbass gestartet. „Die Hauptanstrengungen unternimmt der Feind im Bereich der Ortschaften Lyman, Kreminna, Popasna und Rubischne, zudem hat er versucht, die volle Kontrolle über Mariupol herzustellen“, berichtete der ukrainische Generalstab.

Tote bei Raketenangriff auf Lemberg

Doch neben der Ostukraine ist nun auch der Westen des Landes zunehmend von Angriffen betroffen. So haben nach ukrainischen Angaben Montagfrüh russische Raketen die Stadt Lwiw (Lemberg) getroffen. Es habe zugleich „fünf heftige Raketenangriffe auf die zivile Infrastruktur der alten europäischen Stadt Lwiw“ gegeben, schrieb Mychailo Podoljak, Berater von Präsident Wolodymyr Selenskij, auf Twitter. Mindestens sechs Menschen starben, mindestens elf wurden verletzt. Dabei soll auch zumindest ein ziviles Objekt getroffen worden sein.

Von russischer Seite heißt es, dass die Streitkräfte mit Iskander-Raketen vier Depots für Waffen und Militärausrüstung in der Ukraine angegriffen haben. Zudem seien, wie die russische Nachrichtenagentur Tass berichtet, drei ukrainische Militärflugzeuge und elf Drohnen abgeschossen worden. Das russische Militär habe seit dem Abend insgesamt 315 Ziele getroffen.

Die Kämpfe gehen also unvermindert weiter. Und eine mögliche Lösung des Konflikts durch Verhandlungen scheint derzeit weiter nicht in Sicht. So heißt es aus dem Kreml, dass es keine Fortschritte gebe. Die Dynamik lasse zu wünschen übrig, sagte Kremlsprecher Dmitrij Peskow am Montag der Agentur Interfax zufolge. Die Ukraine ändere ihre Position oft und lasse keine besondere Konstanz bei Abstimmungsfragen erkennen, behauptete Peskow. Gleichwohl gebe es weiter Kontakte, werde weiter auf Expertenebene verhandelt.

Bilder von brennendem Schiff

Die vom Kreml so bezeichnete „militärische Spezial-Operation“ wird demnach fortgesetzt. Sie laufe nach Plan, sagte Peskow. Er bestätigte auch, dass nach dem Untergang des russischen Kriegsschiffs Moskwa im Kreml die nun im Internet erstmals verbreiteten Bilder von einem brennenden Schiff gesichtet worden seien. „Ja, wir haben diese Bilder tatsächlich gesehen; inwieweit sie aber authentisch sind und der Wirklichkeit entsprechen, können wir nicht sagen.“ (ag.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.04.2022)

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