Covid-Learnings

Covid-19 verstehen, behandeln und erklären

Vom Antigentest bis zelluläre Immunität: Wir alle haben viel dazugelernt in zwei Jahren Pandemie. Covid-19 bedeutete auch für die Forschung einen enormen Wissenszuwachs. Sechs Experten verschiedener Bereiche resümieren ihre fachliche und persönliche Lernkurve.

(c) Carl Anders Nilsson

„Fachlich war es für mich wichtig, mich wieder up to date zu bringen, was Virologie, Epidemiologie und Immunologie betrifft. Es ist ja auch sonst meine Rolle, zwischen Medizin und Sozialwissenschaften bzw. dem Politischen zu vermitteln. Es war sehr spannend, wieder in die Medizin einzutauchen, noch dazu, wo dies meine Lieblingsfächer waren. Das bestätigte einmal mehr eines meiner Mottos: In der Medizin ist Halbwissen schlechter als kein Wissen. Speziell die Immunologie ist so komplex, dass man leicht die falschen Schlüsse ziehen kann, wenn man nicht sehr tief in die Materie eintaucht. Ernüchternde Erkenntnisse waren, wie wenig wissenschaftliche Einschätzungen in der Politik beherzigt werden, und wie schlecht unsere Datenlandschaft ist – und das Unvermögen, daran selbst im Angesicht der Pandemie etwas zu ändern.

Persönlich ist vor allem das Twittern zu erwähnen, das begann ich Anfang 2020, eigentlich wegen einer Konferenz zu einem ganz anderen Thema. Immer mehr wurde es in der Pandemie auch zur Plattform zwischen Wissenschaftlern, weil neues Wissen so schnell entstand, dass klassische Austauschformen der Wissenschaft nicht hinreichend waren. Gleichzeitig gab es hier auch größere Schwierigkeiten, von Fake-News, die sich ungehindert verbreiten, bis zu aggressiven Wissenschaftsleugnern, die man blocken muss, war alles dabei."


„Ich habe fachlich enorm viel dazu gelernt: Wir waren mit einer völlig neuen Situation konfrontiert, die eine beispiellose Dynamik in der Forschung mit sich brachte. Ich war persönlich überrascht, wie schnell in Zeiten der globalen Vernetzung neue Viren und Mutationen nach Österreich kommen, ohne dass man epidemiologisch viel dagegen unternehmen kann. Eine besondere Lernkurve für mich war auch die Kommunikation mit der Öffentlichkeit. Ich habe viel von Beispielen internationaler Kollegen gelernt. Leider haben wir in Österreich auch lernen müssen, dass die Qualität der Gesundheitsdaten nicht internationalen Standards entspricht und es bei uns viel Investitionsbedarf im Bereich Public Health und Epidemiologie gibt.

Persönlich bekam ich während der Pandemie zum ersten Mal einen etwas tieferen Einblick, wie in Österreich politische Entscheidungen getroffen werden. Dass Partialinteressen in vielen Fällen wichtiger waren als die wissenschaftliche Faktenlage, war für mich doch ernüchternd. Erschüttert hat mich auch, wie wissenschaftsfeindlich ein Teil der Bevölkerung ist, der sich innerhalb der sozialen Medien eine eigene Realität geschaffen hat. Auch Hassmails zu bekommen war für mich völlig neu. Die Erfahrung, plötzlich in der Öffentlichkeit zu stehen, war zwar ungewohnt, aber insgesamt positiv, weil ich auch viel wertschätzendes Feedback bekommen habe."



„Die SARS-CoV-2-Infektion hat neue Erkenntnisse zur Virusimmunologie gebracht. Dies betrifft die spezifische Immunreaktion und die daran beteiligten Komponenten des B- und des T-Zell-Systems, deren Aktivierung und Erschöpfung, aber auch pathologische Reaktionen wie die Induktion von Autoimmunität. Noch nie wurden in so großem Stil an so vielen Menschen in so kurzer Zeit Impfstoffe zum Einsatz gebracht, sodass wir neue Informationen über natürliche und therapieinduzierte Selektionsprozesse – wie Virusmutationen unter Impfung, aber auch unter Therapie mit monoklonalen Antikörpern und antiviraler Medikation – erfahren. Dies hat große Bedeutung für das Verständnis der Interaktion zwischen Immunsystem und Tumorzellen, da zunehmend etwa onkolytische Viren (Viren, die Tumorzellen töten, Anm.) und mRNA-Vakzine zur Krebsentwicklung gebracht werden. Von besonderer Bedeutung wird die Aufklärung der Mechanismen des Post-Covid-Syndroms für das Verständnis degenerativer, inflammatorischer und von Autoimmunmechanismen werden.

Abseits meines Faches hat die Covid-Pandemie die kritischen Interaktionsstellen zwischen Politik und Gesellschaft, die Bedeutung sachlicher und auf Kontinuität von klaren Werten orientierter Kommunikation veranschaulicht, außerdem die Bedeutung der Vertrauenserweckung zwischen Stimmungen von Angst und Wirklichkeitsverweigerung."

(c) SCHMOLKE GERHARD



„Ich habe gelernt, wie wichtig – gerade in Krisenzeiten – die Erfüllung der psychologischen Grundbedürfnisse nach Kompetenzerleben, Autonomie und sozialer Eingebundenheit ist. Für Wohlbefinden sowie für Lern- bzw. Arbeitsmotivation, sowohl für Kinder und Jugendliche als auch für Erwachsene. Dies sollte bei der Stellung von Lernaufgaben und bei der Gestaltung von Arbeitsbedingungen unbedingt berücksichtigt werden. Und ich habe gelernt, wie schwierig es ist, Kinder und Jugendliche, denen es schlecht geht, die keine Lernerfolge haben und vermutlich aus dem Lernen herausgefallen sind, in Krisenzeiten bei Studien zu erreichen. Auch wenn Erhebungen nach Alter, Geschlecht, Schultyp etc. repräsentativ sind, muss man davon ausgehen, dass diejenigen, denen es sehr schlecht geht, nicht mitmachen. Gleichzeitig war es sehr beeindruckend, wie viele tausende Kinder, Jugendliche und Erwachsene an unserem Forschungsprojekt teilgenommen haben und dass vielen davon die Selbstorganisation des Lernens und Arbeitens zunehmend besser gelungen ist.

Persönlich hat mich höchst beeindruckt, wie enorm sich alle – insbesondere die jungen Mitarbeiter – in unserem Forschungsprojekt „Lernen unter Covid-19-Bedingungen“ engagiert haben. Dafür haben wir deutlicher als je zuvor erlebt, dass wir mit unserer Forschung einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft, insbesondere den Bildungsbereich, leisten."

(c) FLORIAN LECHNER



„Die Wissenschaftsgemeinshaft hat enorm viel Wissen über das SARS-CoV-2 in den letzten zwei Jahren zusammengetragen. Wir verstehen die immunologischen Mechanismen, die zu schweren Verläufen führen, schon sehr genau. Wir wissen, wie sich das Virus der Immunantwort durch Mutationen entzieht. Wir kennen epidemiologische Eckdaten wie Ansteckungsfähigkeit und Inkubationszeit für die verschiedenen Varianten. Es wurden zudem mehrere Impfstoffe und Therapien in Rekordzeit entwickelt. Im Bereich der öffentlichen Gesundheit hat sich herausgestellt, dass einerseits die Gesundheitskompetenz der Menschen in einem Land und andererseits das Vertrauen in Politik und Behörden entscheidend dazu beitragen, Krisen zu bewältigen. Beides ist in Österreich ausbaufähig.

Ich glaube, dass ich inzwischen noch besser wissenschaftliche Zusammenhänge dem Laien erklären kann. Mir sind zudem zwei gesellschaftliche Aspekte klarer geworden: Dass es erschreckend viele Menschen gibt, die in einer Parallelrealität leben, in der hart erarbeitete wissenschaftliche Kenntnisse mit Phantasien von Internetgrößen gleichgesetzt werden; und der Mangel an Gemeinsinn bei vielen Menschen. Hier sollte man sich mehr von den skandinavischen Ländern abschauen, die mit sehr wenig Übersterblichkeit durch die Pandemie gekommen sind, als von den USA mit massiver Übersterblichkeit."

(c) feel image - Fotografie



„Vieles, was man zuvor nur am theoretischen Modell kannte, konnte man jetzt erstmals in Wirklichkeit beobachten. Konkret, wie eine Infektionskrankheit auf eine immunologisch komplett naive Bevölkerung trifft. Dazu gab es schon seit Jahrzehnten Modelle, welche Rolle dabei die Struktur von solchen Kontaktnetzwerken spielt. Es waren vielfach theoretische Konzepte, die man jetzt empirisch vermessen konnte. Dadurch hat sich vielfach der Fokus verändert. Man erkannte, wie wichtig es ist, Aspekte menschlichen Verhaltens in solche Modelle einzubauen. Das Interface zwischen Virusausbreitung, zugrundeliegenden Netzwerken und Verhalten zu verstehen, hat für unsere Disziplin am meisten Erkenntniszuwachs bedeutet.

Was ich außerhalb des Faches dazugelernt habe, hat in erster Linie mit der Kommunikation der Ergebnisse zu tun. Wir sind nicht daran gewöhnt, unsere Ergebnisse daraufhin abzuklopfen zu müssen, ob wir damit auf der Policy-Ebene Angst oder Verunsicherung auslösen. Es wurde also zur Herausforderung, wie man in dem Klima, das sich aufgebaut hat, die Ergebnisse kommunizieren kann, aber auch die Unsicherheiten, die damit verbunden sind; und zwar den Entscheidungsträgern wie der Öffentlichkeit. Wenn wir dafür Unterlagen vorbereiten, geht mehr Arbeit in die Formulierung der Ergebnisse und die Strategie, wie man sie zeigt, als in die Berechnung selbst."

Corona Chronologie

31. Dezember 2019: Information der WHO über Fälle von Lungenentzündung mit unbekannter Ursache in der chinesischen Stadt Wuhan.

7. Jänner 2020: Identifikation eines neuartigen Coronavirus durch die chinesischen Behörden; vorläufige Bezeichnung „2019-nCoV“, spätere Bezeichnung „Covid-19-Virus“.

30. Jänner 2020: Erklärung des Ausbruchs des neuartigen Coronavirus zu einer gesundheitlichen Notlage von internationaler Tragweite auf höchster Warnstufe der WHO
(damaliger Stand: 98 Fälle in 18 Ländern außerhalb Chinas, keine Todesfälle).

11. März 2020: Offizielle Erklärung des Virusausbruchs zur Pandemie (damaliger Stand: 118.000 Fälle in 114 Ländern, insgesamt 4921 Todesfälle).

28. April 2020: Europa ist Epizentrum der Pandemie (63 % der weltweiten Todesfälle).

21. Dezember 2020: Bedingte EU-Zulassung des ersten Impfstoffes von Biontech/Pfizer, danach Moderna (6. Jänner 2021), AstraZeneca (29. Jänner 2021), Johnson & Johnson (11. März 2021) und Novavax (17. Dezember 2021).

24. März 2022: Coronafälle bis dato: weltweit 473 Millionen; Österreich 3,6 Millionen.

Dieser Artikel stammt aus dem Gesundheitsmagazin April 2022. Hier können Sie das gesamte Magazin lesen.

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